En marche in die VI. Republik?

Die neue alte Unübersichtlichkeit: Frankreichs zerklüftete Parteienlandschaft

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PICTURE ALLIANCE/ABACA | GILE/ANDBZ/ABACA, EPA | LUDOVIC MARIN, DPA/MAXPPP | LP/ARNAUD JOURNOIS
Jean-Luc Mélenchon, Valérie Pécresse, Éric Zemmour
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Jean-Luc Mélenchon, Valérie Pécresse, Éric Zemmour

En marche in die VI. Republik?

Die neue alte Unübersichtlichkeit: Frankreichs zerklüftete Parteienlandschaft

Vor fünf Jahren erschien der Wahlsieg des (noch) amtierenden französischen Präsidenten Emmanuel Macron wie ein triumphaler Paukenschlag: Mit der von ihm erst ein Jahr zuvor gegründeten Bewegung „En marche!“ (Losgehen!) eroberte er den Elysée. Bei den folgenden Parlamentswahlen im Juni 2017 erhielten die ihn unterstützenden Kräfte die absolute Mehrheit der Sitze. Die früheren Regierungsparteien lagen in Trümmern: Die Sozialisten, die zuvor den Präsidenten gestellt hatten, fuhren das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte ein und mussten ihre Parteizentrale verkaufen. Die bürgerlich-konservativen Republikaner waren 2017 mit ihrem Kandidaten François Fillon als Favoriten ins Rennen gegangen, zerfielen aber nach der Aufdeckung von dessen nepotistischen Praktiken in Führungs- und Richtungskämpfe.

Spektakulär an Macrons Sieg war vor allem, dass er weder als Kandidat des linken noch des rechten Lagers ins Rennen gegangen war, sondern aus einer programmatischen Position des „Sowohl-als-auch“ heraus gewonnen hatte. Dies widersprach einem ehernen Quasi-Gesetz der Fünften Republik: Im von jeher fluktuierenden Vielparteien-Feld richtet sich die Politik traditionell an der Links-Rechts-Achse aus, und mehr als 200 Jahre postrevolutionärer politischer Kultur sowie institutionelle Faktoren wie das romanische Mehrheitswahlrecht in Frankreich unterstützen diese Bipolarität.

Doch schon im Jahr 2002 hatte die simple Zwei-Lager-Logik versagt: Damals kam es zu der vor allem für die französische Linke traumatischen Situation, dass im entscheidenden zweiten Wahlgang kein linker Kandidat mehr im Rennen war, sondern der Neogaullist Jacques Chirac dem Rechtsextremen Jean-Marie Le Pen gegenüberstand.

Seitdem hat die Polarisierung zugenommen. So durchfurcht der Konflikt zwischen autoritär-nationaler und liberal-postnationaler Politik die Parteienlandschaft. Anders als etwa in Deutschland hatte dies aber nicht nur den Aufstieg rechter Parteien zur Folge, sondern die Zersplitterung von Parteien auf der Linken wie Rechten. Seit dem Maastricht-Referendum 1992 hat der Streit um Europa quer durch die Parteilager die Souveränisten mobilisiert. Das kompliziert besonders die Bündnisbildung im linken Spektrum, das durch das Tauziehen zwischen reformerischen und revolutionären Kräften ohnehin unter Spannung steht.

2022 ist die Uneinigkeit noch größer als 2002. Eine Bürgerinitiative mit rund 400 000 Registrierten hat eine informelle Volksvorwahl organisiert, um jenseits der bündnisunwilligen Parteien eine gemeinsame linke Kandidatin zu küren. Der europaskeptische Linkspopulist Jean-Luc Mélenchon, laut Umfragen bestplatzierter linker Kandidat, wollte genauso wenig teilnehmen wie Yannick Jadot von den Grünen, die seit der „grünen Welle“ bei den Kommunalwahlen 2020 auf eine eigenständige politische Rolle pochen.

Auf der rechten Seite könnten die nationalistischen Rechten Nicolas Dupont-Aignan, Éric Zemmour und Marine Le Pen potentiell ein Drittel der Wählerschaft vereinen. Der wegen Volksverhetzung verurteilte Ex-Journalist Zemmour heizte in der ersten informellen Phase des Wahlkampfs die Debatte an mit seiner Anti-Migrations-Polemik und Untergang-des-Abendlandes-Rhetorik und überholte die Rechtspopulistin Marine Le Pen rechts. Sollte Zemmour offiziell im Rennen sein (die offizielle Kandidaten-Liste wird Anfang März 2022 veröffentlicht), könnte die Aufspaltung der Wählerstimmen die nationalistische Rechte am Einzug in den zweiten Wahlgang hindern und den Weg frei machen für die bürgerlich-konservative Valérie Pécresse, die die Vorwahlen der Republikanischen Partei für sich entschieden hat. Um die Parteiflügel hinter sich zu einen, hat die wirtschaftsliberale Pécresse den Rechtsaußen der Partei Éric Ciotti zu ihrem „Sprecher für Autorität“ ernannt.

Die stabilste Allianz hat sich in der moderaten rechten Mitte unter dem Label „Bürger gemeinsam!“ gegründet: Der Zentrist François Bayrou (MoDem) gehört ebenso zu ihr wie der ehemalige Republikaner und Premierminister Édouard Philippe, der sich mit seiner Gruppierung Horizons für die Präsidentschaftswahlen 2026 in Stellung bringt. Für den Erfolg einer – noch nicht erklärten – nochmaligen Kandidatur Macrons ist solch ein Bündnis notwendig, da der Misserfolg von Macrons LREM bei den Kommunal- und Regionalwahlen gezeigt hat, dass der Appeal des Aufbruchs verbraucht ist und der Partei für die Etablierung die lokale Verwurzelung fehlt.

Nicht zuletzt wegen der hohen Personalisierung des politischen Wettbewerbs ist das französische Parteiensystem beschrieben worden als eine „fluktuierende Oberflächenstruktur“, unter der eine stabilere Struktur aus ideologischen Familien und gesellschaftlichen Milieus liegt (so der Freiburger Politologe Wolfgang Jäger).

Mehrere Faktoren erklären die organisatorische Instabilität der französischen Parteien: Zu nennen wäre etwa das ideengeschichtlich an Rousseau orientierte Republik-Verständnis, in dem Parteien eine Gefahr für das Gemeinwohl darstellen. Zudem mindert die schwache Rolle des Parlaments im französischen System die Bedeutung gut organisierter Parteien für das Regieren. Dazu fördern die Präsidentialisierung und das Mehrheitswahlrecht die Rolle einzelner Persönlichkeiten.

Die Verkoppelung des Parteienangebots mit der gesellschaftlichen Tiefenstruktur hat deutlich abgenommen. Neben der erwähnten Zunahme an sich überschneidenden Konfliktlinien liegt das am Schrumpfen der den Parteien früher zu Grunde liegenden sozialen Milieus. Hinzu kommt eine in Frankreich immer tiefer werdende Distanz zwischen politischem Personal und Bevölkerung. Im europaweiten Vergleich verzeichnet es negative Rekordwerte in puncto Misstrauen gegenüber Parteien und Politik. Die Präsidentschaftswahlen 2017 waren auch in dieser Hinsicht ein Paukenschlag: Erstmals ging eine Mehrheit der Wahlberechtigten im ersten und zweiten Wahlgang erst gar nicht wählen. Neben der Fragmentierung des politischen Angebots lässt vor allem diese Komponente das Parteiensystem als fragiles Gefüge erscheinen. Dies lastet als Hypothek auf der französischen Demokratie und macht Wahlprognosen zu einem prekären Unterfangen.

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