Kolumne | Direktnachricht
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Zweimal öffentliche Verkehrsmittel nutzen: 5,20 Euro. Ohne Fahrschein erwischt werden: erhöhtes Beförderungsentgelt. Schließlich: 2200 Euro Geldstrafe plus Verfahrenskosten, obwohl man sich schon den anfänglichen Busfahrschein nicht leisten konnte: unbezahlbar.
Diese Rechnung ist ein typisches Beispiel für einen Strafbefehl, nachdem man des Fahrens ohne Ticket bezichtigt wurde. Laut Paragraf 265a StGB fällt dies nämlich unter „Erschleichen von Leistungen“ und ist strafbar. Er stammt aus der Nazi-Zeit und ist Hass auf arme Menschen in Gesetzesform. Das setzt sich bis heute fort, denn 265a trifft vor allem Arbeitslose, psychisch Kranke, Menschen mit Suchterkrankungen und Obdachlose. Menschen also, die wenig bis gar kein Geld oder auch noch Schulden haben. Ihre Fahrten mit öffentlichen Verkehrsmitteln sind oft genau jene, die unerlässlich sind, wie Ärztinnenbesuche oder der Termin beim Amt, um nicht komplett durchs gesellschaftliche Raster zu fallen.
Das Strafbefehlsverfahren gegen Betroffene läuft in der Regel schriftlich ab, es gibt keine Hauptverhandlung und damit kein persönliches Gespräch, in dem ihre komplexe Lage erklärt werden könnte. Wer keine Post empfangen kann, weil ein eigener Briefkasten fehlt oder die psychische Kraft, um sie zu öffnen, bekommt nicht einmal mit, wie aus der Geld- eine Ersatzfreiheitsstrafe wird. Die nächste Begegnung mit der Polizei bringt die Betroffenen dann direkt ins Gefängnis. Bis zu einem Jahr Freiheitsentzug erlaubt Paragraf 265a.
War ihre Situation schon vorher schwierig, verschärft sie sich nun zusätzlich. Der Gefängnisaufenthalt kostet viele ihre noch vorhandenen Arbeitsstellen, Partner_innen oder Wohnungen. Der Rückfall ist vorprogrammiert und wird zum Teufelskreis. „Wir bestrafen Menschen, die Delikte begehen, weil sie arm sind, mit einer Geldstrafe – und dann bestrafen wir sie noch mal, weil sie das Geld nicht haben, diese zu bezahlen,“ fasst die Soziologin Nicole Bögelein zusammen.
Seit vergangenem Dezember ist die Initiative Freiheitsfonds angetreten, um das zu ändern und den Paragrafen 265a abzuschaffen. Sie sammelt Spendengelder und hat nach eigenen Angaben schon mehr als 200 Menschen für 240.000 Euro „freigekauft“, was insgesamt 47 Jahre Haft verhinderte. Für den Staat bedeutet dies 2,6 Millionen Euro weniger Kosten für Haftaufenthalte.
Justizminister Marco Buschmann kündigte immerhin kürzlich an, bei Bagatelldelikten zu prüfen, wo eine Modernisierung des Strafrechts fällig ist. Ein großes „Aber“ bleibt, da die bisherigen Überlegungen fürs Fahren ohne Fahrschein nur so weit gehen, es als Ordnungswidrigkeit statt als Straftat einzustufen. Doch auch geringere Bußgelder bleiben zu viel Geld für Menschen in Armut, zumal die neue Kategorisierung an der grundsätzlichen Situation der Betroffenen nichts ändert.
Tausende Leute jedes Jahr in einen Teufelskreis der Armut drängen: unmenschlich. Einen Nazi-Paragrafen abschaffen, das gesparte Geld in Sozialarbeit stecken sowie kostenlose Nahverkehrsangebote: unerlässlich. Das Gefühl, endlich für mehr soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde gesorgt zu haben: unbezahlbar.