Warum auch nach Macrons Wiederwahl zum französischen Präsidenten die populistische Gefahr noch nicht gebannt ist
Warum auch nach Macrons Wiederwahl zum französischen Präsidenten die populistische Gefahr noch nicht gebannt ist
Vor der entscheidenden Runde der französischen Präsidentschaftswahl hatte Emmanuel Macron besondere Unterstützung: Die Regierungschefs Deutschlands, Spaniens und Portugals riefen gemeinsam in der Tageszeitung Le Monde dazu auf, für den noch amtierenden Präsidenten als den Kandidaten der liberalen Demokratie und einer starken Europäischen Union zu stimmen und seine rechtspopulistische Herausforderin Marine Le Pen und das Auseinanderbrechen des europäischen Projekts zu verhindern. Die gleiche dramatische Botschaft kam – ein präzedenzloser Vorgang – aus der renommierten Pariser Hochschule für Politikwissenschaft Science-Po, deren wissenschaftliches Selbstverständnis eine öffentliche Parteinahme bei Wahlen bislang ausgeschlossen hatte. Doch die Wahlversprechen Le Pens wie zum Beispiel die auch vom bekennenden „illiberalen Demokraten“ Viktor Orbán erhobene Forderung der Nicht-Unterordnung nationalen Rechts unter europäisches Recht, boten in der Tat Stoff für politische Alpträume.
So war die Erleichterung am Abend des Wahlsonntags groß, als Macron mit 58,54 Prozent der abgegebenen Stimmen gegenüber 41,46 der Stimmen für Le Pen im Amt bestätigt wurde. Von Triumph und Siegestaumel war dann aber wenig zu sehen oder hören, als sich Macron auf dem Pariser Champs de Mars mit einer kurzen Dankesrede an den Kreis seiner Unterstützerinnen und an das französische Volk wandte. Er dankte explizit auch denen, die ihn nur gewählt hatten, um dem rechten Extremismus einen Riegel vorzuschieben. Er betonte, dass er sich verpflichtet fühle, den Gründen nachzugehen, die 28 Prozent der registrierten Wähler (kaum weniger als bei den Ausnahmewahlen 1969) zur Enthaltung und 8,6 Prozent zu leeren oder ungültigen Stimmabgaben bewegt hatten. Er versicherte, sich auch verantwortlich zu fühlen für die Probleme und Interessen derjenigen, die für seine Gegnerin gestimmt hatten.
Selbstverständlich sind solche Versprechen Teil der im Präsidentenamt erwarteten Rollenpraxis. Aber für Macron ist es mehr als eine rituelle Verbeugung vor der Wählerschaft. Es ist nackte Notwendigkeit. Angesichts des Umstands, dass Frankreich ein semi-präsidentiellen System hat und am 12. und 19. Juni die Parlamentswahlen anstehen, ist er schlichtweg gezwungen, auf diejenigen Bürgerinnen zuzugehen, die ihn nicht gern oder auch gar nicht gewählt haben. Ohne eine den Präsidenten unterstützende Mehrheit im Parlament schrumpft dessen Macht nämlich erheblich auf einige Kernkompetenzen zurück, und er verliert seine Rolle als Super-Regierungschef und konkurriert mit dem Premierminister um die politische Führung der Nation.
Zwar war es bei Parlamentswahlen, die auf Präsidentschaftswahlen folgten, bislang in der Fünften Republik in der Regel so, dass die Wähler für eine dem Präsidenten loyale Mehrheit stimmten. Macron muss sich aber durchaus Sorgen machen, denn seine lokal noch nicht verankerte junge Partei „La République en Marche“ hat bei den Regionalwahlen 2021 katastrophal schlecht abgeschnitten, und der Schwung, den 2017 das Versprechen des radikalen Wandels ausgelöst und den jungen Präsidenten Macron ebenso wie seine Unterstützerbewegung an die Macht gebracht hatte, hat sich erschöpft. Ein Blick auf Macrons Wählerbasis bei den Wahlen 2022 zeigt eine empfindliche repräsentative Lücke: Gewählt hat ihn ein Teil der jungen Menschen und vor allem eine große Mehrheit derjenigen, die nicht mehr im Arbeitsleben stehen. Viele der jungen Menschen, vor allem aber diejenigen, die mitten im Arbeitsleben stehen, haben ihre Stimmen eher dem Linkspopulisten Mélenchon oder der Rechtspopulistin Le Pen gegeben. Tatsächlich kann sich Le Pen rühmen, 2022 bei den Wahlen Wählerinnen dazugewonnen zu haben (2,7 Millionen mehr Stimmen als 2017), während Macron 2 Millionen Wählerstimmen verloren hat.
„Der Kampf geht in die dritte Runde“, hat Mélenchon am Wahlabend ausgerufen und sich selbst auch gleich zum künftigen Premierminister. Letzteres ist allerdings unwahrscheinlich angesichts der Zerstrittenheit der Linken, auch wenn zwei Tage später bereits Verhandlungen zwischen seiner Partei „Unbeugsames Frankreich“ und anderen linken Parteien sowie den Grünen angekündigt wurden. Das romanische Wahlrecht mit seinen beiden Wahlgängen sorgt im französischen zersplitterten Kräftefeld dafür, dass nur Parteien, die Wahlbündnisse schließen, Chancen haben, auch in der Nationalversammlung entsprechend repräsentiert zu sein. Der Filter des Wahlrechts und die mangelnde Koalitionsfähigkeit des „Unbeugsamen Frankreichs“, aber auch des rechten „Rassemblement National“ von Le Pen haben bislang dafür gesorgt, dass diese Parteien kaum im Parlament repräsentiert waren. Macron kann sich also Hoffnungen machen, dass in der dritten Runde des politischen Kampfes die moderaten Kräfte der traditionellen Rechten wie Linken sich zu einer ihn im Parlament unterstützenden Mehrheit gruppieren. Macrons kurze Rede am Wahlabend hat gezeigt, dass er nun vor allem junge Wähler und die Wählerschaft auf der Linken ansprechen möchte: Er wolle keine Kontinuität, nicht „weitere fünf“, sondern „fünf bessere Jahre“, mit einer „neuen Methode des Regierens“ und dem Ziel, Frankreich zu einer „großen umweltbewussten Nation“ zu machen.
Doch die eigentliche Herausforderung für Macrons Präsidentschaft liegt außerhalb der Arena der Institutionen: Er muss mit seiner Politik endlich die Bürgerinnen erreichen. Obwohl Macron einige wichtige Eckdaten der wirtschaftlichen Lage verbessern konnte, wie etwa einen Rückgang der (Jugend-)Arbeitslosigkeit, hat er die wirtschaftliche, politische und soziale Malaise Frankreichs offenbar nicht in den Griff bekommen. Schlimmer: Mit seinem weithin als elitär wahrgenommenen Regierungsstil hat er noch nicht einmal die Glaubwürdigkeit seines Bemühens um ein soziales und gerechteres Frankreich erreicht. Die Proteste gegen seine Rentenreform und die Gelbwesten-Proteste sind allen noch im Bewusstsein.
Tatsächlich hat in Frankreich der Kampf um die Macht des Präsidenten vier Runden: Die vierte, so heißt es, findet im September statt, und zwar auf der Straße, wenn sich diejenigen Bürger zu Wort melden, die ihre Interessen nicht von der Politik berücksichtigt sehen. Dieses Mal haben sich die ersten schon am Wahlabend gemeldet. Es gab Proteste in Paris, Caen, Lyon, Nantes, Rennes und Marseille gegen eine Präsidentschaftswahl, bei der sich offenbar viele Menschen angesichts der Auswahl zwischen den beiden Kandidaten nicht repräsentiert sahen.