Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Udo Di Fabio ist als meinungsstarker, scharf denkender Verfassungsrechtler bekannt. Diese Woche war er zu einem virtuellen Kamingespräch bei der Ludwig-Erhard-Stiftung geladen, jener Stiftung, die dem Erbe Erhards verpflichtet ist und sich für die soziale Marktwirtschaft engagiert.
Die Stiftung wirkt immer etwas aus der Zeit gefallen, nicht zuletzt, weil dort über Jahre – gefühlt – viele ältere weiße Herren saßen, die stets zum Besten gaben, was ein älterer weißer Herr (mit Zigarre) als Bundeswirtschaftsminister einst Kluges gesagt und getan hatte, um Deutschland nach dem Krieg in ein wahres Wirtschaftswunder zu führen. Diese Woche war es anders, was an Di Fabio lag und einer persönlichen Beobachtung, die er zum Besten gab. Er, Jahrgang 1954, sei in den 1960er- und 1970er-Jahren zur Schule gegangen. In dieser Zeit (1968 ff) sei den Schülern beigebracht worden, eine eigene Meinung zu haben und diese zu vertreten.
Heute lägen die Dinge anders. Das beobachte er bei seinen Töchtern. Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen würden im Sinne einer Konformitätslehre des richtigen Lebens auf herrschende Auffassungen gedrillt. Wer sich für diese stark mache, der, so hieße es, zeige Haltung, was allgemein gutgeheißen würde. Eine eigene Meinung aber hätte derjenige nicht. Das würde nicht mehr trainiert.
Man kann sich das durch den Kopf gehen lassen und aus Jahren eigener Beobachtung tatsächlich erkennen, dass Konformität in den Bildungsanstalten von heute sehr gefragt ist. Man kann sich bei Jugendlichen und Studenten auch erkundigen, was zugegebenermaßen keine repräsentative Umfrage ist, sondern anekdotisch an die Sache herangeht. Doch schon das fördert erstaunlich viel Zustimmung zutage. Eine politisch korrekte Haltung werde belohnt, eine eigene Meinung sei weniger erwünscht, wichtig sei Engagement für die „richtige“ Sache. Sich an Lehrkräften zu reiben, sich darin auszuprobieren, intelligent zu provozieren, auch mal gehörig über die Stränge zu schlagen, um sich dann wieder zusammenzuraufen oder einen Kompromiss zu finden, das ließe man lieber bleiben. Punkte gebe es dafür jedenfalls nicht.
Und genauso ginge es an den Universitäten in den Seminaren weiter. Am besten führen jene, die mit einer gewissen „Schulintelligenz“ ausgestattet seien und schon vorher wüssten, was Lehrkräfte oder Dozenten gerne hören wollten.
Vor einigen Jahren publizierte der Yale-Dozent William Deresiewicz ein vielbeachtetes Buch mit dem provokanten Titel: „Excellent Sheep“. Gemeint waren die Elitestudenten der Ivy-League, die zwar hervorragende Ergebnisse produzierten, das kritische und kreative Denken allerdings nie gelernt und eigene Wertvorstellungen nicht entwickelt hatten.
Wenn die Jugendlichen von heute die Welt von morgen gestalten, dann stimmt diese allseits beobachtete, vorauseilende Anpassung nachdenklich. Wie dann die Zukunft aussehen mag? Die Antwort darauf wäre sicher mindestens eine weitere Kolumne wert.