Droht der AfD nach der Beinahe-Eskalation auf dem Parteitag der Bruch?
Droht der AfD nach der Beinahe-Eskalation auf dem Parteitag der Bruch?
Auf ihrem Bundesparteitag am vergangenen Wochenende wollte sich die AfD ein renten- und sozialpolitisches Profil geben und damit eine seit ihrer Gründung 2013 bestehende programmatische Lücke schließen. Das gelang ihr auch. Die Schlagzeilen bestimmte jedoch ein anderes Ereignis: die kämpferische Auftaktrede des Co-Vorsitzenden Jörg Meuthen mit einem Frontalangriff auf seine innerparteilichen Gegner und deren Schutzherren in der Partei- und Fraktionsführung.
Schon sehr lange wurde die Partei von dem personellen, inhaltlichen und strategischen Streit zwischen dem – für AfD-Verhältnisse – moderateren, rechtskonservativen Meuthen-Lager und dem völkisch-nationalistischen und damit rechtsextremistischen Teil der Partei geprägt, der sich im „Flügel“ sammelte. Der Streit eskalierte, als der Verfassungsschutz den „Flügel“ Mitte März als erwiesen extremistische Bestrebung zum Beobachtungsfall erklärte, der Bundesvorstand daraufhin die Auflösung des „Flügels“ forderte und Mitte Mai die Parteimitgliedschaft eines der Hauptakteure, des Brandenburger Landes- und Fraktionsvorsitzenden Andreas Kalbitz, für nichtig erklärte, weil er in seinem Aufnahmeantrag seine Mitgliedschaft in der rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend verheimlicht habe.
Auf dem Parteitag führte dann die Aussprache zu einem Antrag, der Meuthen wegen des Falles Kalbitz spalterisches Gebaren bescheinigen sollte, und zu einer weiteren dramatischen Eskalation zwischen den beiden Lagern.
Der Graben, der die Partei spaltet, ist durch den Parteitag noch tiefer geworden, sodass sich die Frage stellt, ob es in nächster Zeit zu einer formellen Parteispaltung kommt. Trotz der Feindseligkeit der beiden Lager spricht jedoch einiges gegen eine Spaltung.
Die Partei steckt schon seit dem März in Bezug auf den Wählerzuspruch in einer tiefen Krise und verlor ein Drittel ihres Wählerpotenzials, was nicht nur auf den innerparteilichen Streit zurückzuführen ist. Das Erfolgsrezept der AfD war es seit ihrer Gründung, sowohl Überzeugungswähler mit einem rechtskonservativen bis rechtsextremen Weltbild anzusprechen als auch – in viel höherem Maße als bei den anderen Parteien – sogenannte Protestwähler, die die AfD wählten, um anderen Parteien wegen ihrer Politik einen Denkzettel zu verpassen.
Um Protestwähler in großer Zahl anzuziehen, muss eine Partei bei einem für die Wähler sehr wichtigen Thema mit ihrer inhaltlichen Positionierung ein Alleinstellungsmerkmal haben, und ein relativ großer Teil der Wählerschaft muss ihre Position teilen. Dies war vor allem von 2015 bis 2019 in Bezug auf die Migrationspolitik der Fall, deren Ablehnung zum Markenkern der Partei wurde. Ab dem Frühjahr 2019 wurde das Migrationsthema jedoch vom Klimawandel als wichtigstes Thema abgelöst. Konnte die AfD schon dieses Thema nicht für sich instrumentalisieren, so gelang es ihr noch viel weniger mit der Coronakrise, die ab März für die Deutschen zum einzig wirklich wichtigen Problem wurde. Die nach anfänglicher Ratlosigkeit über den Umgang mit dem Thema von den Radikalen in der Partei vorangetriebene Fundamentalkritik an den politischen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie und deren Schulterschluss mit Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern bei den Querdenker-Demonstrationen schreckt bürgerlich-konservative Wähler ab. Und die fundamentaloppositionellen Querdenker machen trotz ihrer hohen Medienaufmerksamkeit nur einen verschwindend geringen Teil der Wählerschaft aus.
Zudem hat die Partei in ihrer kurzen Geschichte schon drei Abspaltungen mit darauffolgenden Parteineugründungen sowohl im konservativen als auch rechtsextremistischen Spektrum erlebt, die allesamt erfolglos waren: 2015 Bernd Luckes „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“, 2017 Frauke Petrys „Die blaue Partei“ und 2019 André Poggenburgs „Aufbruch deutscher Patrioten – Mitteldeutschland“. Selbst bei der größten Abspaltung 2015 verlor die Partei nur ein Fünftel ihrer Mitglieder. Dennoch sackte die Rumpf-AfD aufgrund des Streits und der Spaltung auf Umfragewerte unter 5 Prozent ab.
Heute sind beide Lager in etwa gleich groß, und im nächsten Herbst steht die Bundestagswahl an, sodass beide nach einer Spaltung noch eher befürchten müssten, dass sie jeweils an der 5-Prozent-Hürde scheitern und damit auf der Bundesebene bedeutungslos werden.
Dass diese Gefahren den Hauptakteuren bewusst sind, zeigen ihre Reaktionen auf dem Parteitag: Meuthen versicherte, er sei gegen jegliche Form der Spaltung. Notwendig sei eine „neue Einheit in Disziplin“. Und sein Hauptkontrahent, der Thüringer Partei- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, sagte zwar den Medien, man werde sich „irgendwann entscheiden müssen, was der richtige Weg ist“, wagte es aber – wie in der Vergangenheit schon mehrmals – auch diesmal nicht, zum Beispiel durch eine Kandidatur für den durch den Rausschmiss seines Mitstreiters Kalbitz freigewordenen Beisitzerposten im Bundesvorstand, offen die Machtfrage zu stellen.
Die politische Rationalität spricht somit dafür, wieder einmal eine Art Waffenstillstand zu schließen, um bis zur Bundestagswahl über die Runden zu kommen, auch wenn das sowohl innerparteilich als auch gegenüber der Wählerschaft immer schwieriger wird. Allerdings handelt man gerade in der AfD nicht immer rational, sodass eine Parteispaltung nicht völlig ausgeschlossen ist.