Freier Staat

Postskriptum

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Freier Staat

Postskriptum

Vor wenigen Wochen hatte der US Supreme Court seine Entscheidung Roe v. Wade aus dem Jahr 1973 widerrufen und das Recht auf Abtreibung de facto abgeschafft – tatsächlich obliegt es den einzelnen Bundesstaaten, eigene Gesetze zu verabschieden.

Ein Volksentscheid in Kansas sollte der erste große Test sein, ob die Bevölkerung sich für oder gegen die Möglichkeit zum Schwangerschafts­abbruch entscheiden würde. Obwohl die extremen Abtreibungsgegner und ihre trumpistisch-republikanischen Parteigänger für eine reichlich schiefe Formulierung auf den Stimmzetteln gesorgt hatten – die sozialwissenschaftliche Forschung hat herausgefunden, dass es einfacher ist, mit einem Ja als mit einem Nein zu gewinnen –, verloren die fundamentalistisch-rechtsextremen Agitatoren mit satten 20 Prozent.

Das Ergebnis ist eine umso größere Überraschung, als es sich in einem seit langer Zeit erzkonservativen Staat ereignete. Kansas ist das tatsächliche vielbeschworene heartland der USA, in Lebanon im Norden (Einwohnerzahl 178) befindet sich der geographische Mittelpunkt des Landes. Setzt nun aus der Mitte der Verfall der verlogen-heuchlerischen Republikanischen Partei ein, die schon lange vor Trump ihren Status als ernstzunehmende konservative Partei aufgegeben hatte?

Als mustergültiges politisches Fallbeispiel rückte der Sunflower State 2004 in den Mittelpunkt der Debatte mit dem Buch What’s the matter with Kansas?, das der Frage nachging, „wie Konservative das Herz Amerikas eroberten“. Thomas Frank hatte jenen Typus eines Sachbuchs erfunden, das seitdem unzählige Nachahmer gefunden hat: die hervorragend recherchierte Reportage, angefüttert mit einer Fülle von neuesten Untersuchungen und jener Prise Lebensgeschichte, die Glaubwürdigkeit und Bodennähe erzeugt. Frank gelang es überaus pointiert, die schon damals einschlägige Masche der Republikaner zu enttarnen, einen kulturellen Klassenhass von oben zu inszenieren gegen eine hochnäsige liberale Mitte, die mit Verachtung auf den kleinen Mann, seine religiösen Neigungen und patriotischen Aufwallungen, seine Freude an Autorennen und Passion für Schusswaffen herunterblickte. Die culture wars sind längst ein zweifelhaftes Exportgut in alle Welt geworden. Das „wahre Volk“ soll sich über die liberalen Fuzzis aufregen, die Fahrradfahrerinnen, Vegetarier und Regenbogenfreundinnen. Und die republikanischen Strippenzieher und Eliten können sich dann ungestört um ihre maximal wirtschaftsfreundliche Agenda kümmern.





Frank ging es um ein Phänomen, das über seinen Heimatstaat hinausgeht. Seit Jahrzehnten ereigne sich eine populistische Bewegung, die just jenen Menschen nutze, gegen die sich die Erhebung vorgeblich richte: „Die zornigen Arbeiter, mächtig an Zahl, marschieren unwiderstehlich gegen die Arroganten. Sie recken die Fäuste gegen die Söhne der Privilegien. Sie lachen über die delikaten Geschmäcker der feinen Leute. Sie versammeln sich vor den Toren der teuren Viertel, hissen die schwarze Flagge, und während die Milliardäre in ihren Herrenhäuser zu zittern beginnen, brüllen sie ihre schreckens­erregenden Forderungen heraus: ‚Wir sind hier, um für euch die Steuern zu senken.‘“

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