Freiheit, sprich

Moskau hat die Pressefreiheit de facto abgeschafft. Aber oppositionelle Stimmen senden weiter aus dem Exil

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PICTURE ALLIANCE/AKG-IMAGES
„Meine politische Überzeugung ist so unveränderbar wie ein grauer alter Stein: Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Freiheit der Kunst. Das Porträt des Staatsoberhauptes sollte auf die Größe einer Briefmarke beschränkt bleiben. Keine Folter, keine Hinrichtungen.“ *
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PICTURE ALLIANCE/AKG-IMAGES
„Meine politische Überzeugung ist so unveränderbar wie ein grauer alter Stein: Meinungsfreiheit, Redefreiheit, Freiheit der Kunst. Das Porträt des Staatsoberhauptes sollte auf die Größe einer Briefmarke beschränkt bleiben. Keine Folter, keine Hinrichtungen.“ *

Freiheit, sprich

Moskau hat die Pressefreiheit de facto abgeschafft. Aber oppositionelle Stimmen senden weiter aus dem Exil



So ist das jetzt wohl, Russland heute. Ein Blick in Putins schöne neue Welt. Neulich etwa, die große Silvestergala im Fernsehen. Schon immer eher sehr bunt und sehr laut und patriotisch-sentimental, war diese von besonderer Qualität. Eine Kriegsgala.

An runden Tischen stramm aufrecht sitzend und doch verloren wirkend ordengeschmückte Armeeangehörige in Paradeuniform, offenbar gerade zurück vom Einsatz gegen angebliche „Nazis“ an der ukrainischen Front. Drum herum platziert in festlicher Kleidung die kulturelle und mediale Elite des Landes, lachend und klatschend; als ob dieses russische Leben ein einziges Amüsement sei. Präsent auch die Moderatoren der Polit-Talkshows, darunter der unter EU-Sanktionen stehende Wladimir Solowjow, der in seiner täglichen Sendung den Einsatz russischer Atomwaffen erörterte und jetzt die „Helden“ der siegreichen russischen Armee begrüßte.

Und auf der Neujahrsbühne tanzte man zu einem ukrainischen Volkslied und trug ein Gedicht über drohende Kälte und Hunger im Westen vor – das passiere jetzt ja auch den dummen Deutschen, die dem großherzigen Russland kein Gas mehr abkaufen wollen.

So und ähnlich ging es über Stunden, ein winziger Ausschnitt nur aus Putins Welt, in der selbst die Monstrosität seines Krieges zu einem grellbunten Spektakel mit Konfettiregen gerinnt. Und zugleich ahnt man, wie wirkmächtig diese Propaganda ist – eine Propaganda, die sich auf kollektive Großmachtphantasien und vermeintliche orthodoxe Einzigartigkeit stützt, auf Opfernarrative und angebliche Feinde und das seelenzerfressende Gift der Dauerlüge.

Wer kann noch dagegenhalten?

Der 24. Februar 2022 setzte nur den Schlusspunkt unter eine Entwicklung, die mit dem Amtsantritt Putins vor fast 24 Jahren begann; eine Entwicklung, die man viel zu lange nicht wahrhaben wollte, auch in Deutschland nicht. Innerhalb eines Jahres hatte Putin die Kontrolle über die wichtigsten Medien erobert, vor allem über das Fernsehen, bis heute Hauptinformationsquelle der russischen Mehrheit. Unabhängige Journalistinnen und Journalisten arbeiteten seit Jahren mit einem Bein im Gefängnis. Immer willkürlicher die Medien- und Internetgesetze. Der nach Vaterlandsverrat klingende Status des „ausländischen Agenten“ hing wie ein Damoklesschwert über Redaktionen und Reporterinnen.

Und immer wieder wurden kritische Journalistinnen und Journalisten ermordet. Täter, Hintermänner wurden in der Regel nicht ermittelt.

Unter Druck stehend, arbeiteten sie. Die Nowaja Gaseta, die wohl berühmteste unabhängige Zeitung des Landes und Symbol der Perestroika, dieser atemlos-kurzen Zeit der Freiheit. Der kleine, aber munter-kritische Internet-Fernsehsender Doschd, der Regen. Die Radiostation Echo Moskwy war zwar schon lange im Besitz der Gazprom-Media-Holding, die Wirtschaftszeitung Kommersant vom Oligarchen Alisher Usmanow gekauft. Damit waren die Machtverhältnisse klar. Kremlkritische Berichterstattung war nicht unmöglich, glich aber einem Drahtseilakt.

Der 24. Februar 2022 und das kurz darauf erlassene sogenannte „Fake-Gesetz“ über angebliche „Falschinformation“ und „Diskreditierung“ der russischen Armee – es drohen bis zu 15 Jahre Straflager – besiegelten das endgültige Ende der unabhängigen Medien in Russland. Echo Moskwy wurde abgeschaltet, ebenso Doschd. Kritische Lokaljournalisten erhielten „Besuch“ von Polizei und Geheimdienst FSB, unverhüllt die Drohungen, Durchsuchungen, Festnahmen. Der Nowaja Gaseta half selbst die Bekanntheit ihres langjährigen Chefredakteurs, des Friedensnobelpreisträgers Dmitrij Muratow nicht. Sie verlor ihre Drucklizenz.

Zum Fanal wurde das Urteil gegen Iwan Safronow: Im vergangenen September wurde der auf Rüstungsfragen spezialisierte ehemalige Kommersant-Journalist wegen angeblichen „Hochverrats“ zu 22 Jahren strenger Lagerhaft verurteilt. Es war auch eine Warnung für die allerletzten noch im Land verbliebenen unabhängigen Journalisten. Sie können de facto nur noch im Untergrund arbeiten.

Hunderte gingen ins Exil, manchmal mussten sie sich innerhalb von Stunden entscheiden. Ganze Redaktionen verließen das Land – auch die Nowaja Gaseta und Doschd. Die baltischen Hauptstädte Riga und Vilnius wurden Zentren des Exils – auch der unabhängigen Medien aus Belarus. Dort zählen Menschenrechtsorganisationen weit über 1000 politische Gefangene; darunter 31 Journalistinnen und Journalisten.

Die Regierungen der EU-Staaten Lettland und Litauen halfen schnell, zeigten sich anfangs großzügig bei der Visavergabe. „So wurden buchstäblich Leben gerettet“, sagt der schon lange in Riga lebende russische Journalist Anton Lysenkov.

Mittlerweile aber ist dies politisch zunehmend umstritten. Die Menschen in den baltischen Staaten litten Jahrzehnte unter sowjetischer Okkupation, Zehntausende wurden deportiert, ermordet. Diese Erinnerung ist lebendig, und mit jedem Kriegstag wächst das Misstrauen. Seit der Teilmobilmachung im vergangenen Herbst werden so gut wie keine Visa mehr an russische Staatsbürger vergeben; fraglich, ob Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungen für Journalisten verlängert werden. Im vergangenen Dezember wurde Doschd wegen Verstößen gegen das lettische Medienrecht die Sendelizenz entzogen. Es ginge auch um die nationale Sicherheit, hieß es.

Viele wollen nach: Berlin. Die Bundesregierung hatte früh unkomplizierte Hilfe für bedrohte Menschenrechtler und Journalisten zugesagt. „Ihr könnt ohne bürokratische Hürden nach Deutschland kommen“, hatte etwa Außenministerin Annalena Baerbock versprochen; Kultur- und Medienstaatsministerin Claudia Roth wollte den „Fachkräften für die Demokratie“ eine dauerhafte Perspektive geben. Ein kühner Gedanke: Berlin – schon nach der Revolution 1917 Zentrum des russischen Exils – als europäische Hauptstadt unabhängiger russischer Medien.

Wie so oft klaffte aber im Realitätsabgleich die Lücke zwischen Ankündigung und Umsetzung. Zuständigkeiten, Sicherheitsfragen, das Bürokratie-Labyrinth. Ende 2022 waren humanitäre Visa für rund 100 russische Journalistinnen und Journalisten sowie Familienangehörige erteilt; ein erster Schritt.

Entscheidend ist: Weitermachen. Um damit eine, wenn auch noch so kleine, russischsprachige Gegenöffentlichkeit zu etablieren. Echo Moskwy sendet inzwischen aus Berlin per App und über den YouTube-Kanal „Schiwoj gwosd“ – übersetzt etwa „Stachel im Fleisch“. Reporter der Nowaja Gaseta sind umgesiedelt, belarussische Kolleginnen planen den Umzug; auch Teile der Meduza-Redaktion, des in Riga beheimateten größten unabhängigen Nachrichtenportals, könnten nach Berlin verlegt werden. Sie nutzen alles, was geht: Telegram, Podcasts, Apps, Newsletter, Twitter und Streams über das in Russland – noch nicht – verbotene YouTube; auch Anleitungen zur Einrichtung von VPNs (für Virtual Private Network – mit dem man seinen virtuellen Standort verschleiern kann), mit denen man die Blockaden umgehen kann. Sie zählen Hunderttausende Abonnenten. Sie vernetzen sich über den in Berlin gegründeten und auch von der Bundesregierung unterstützten europäischen Fonds für Exiljournalismus JX. Der hilft auch bei der Erarbeitung tragfähiger Businesspläne.

Ein trauriger Gedanke auch: dass Modelle zur Förderung von Exiljournalismus „skalierbar“ werden – für Journalistinnen und Journalisten, die aus anderen Ländern fliehen müssen. Aus Afghanistan etwa oder dem Iran.

Viele russische Journalisten fühlen sich schuldig, in gewisser Weise mitverantwortlich für diesen Krieg. Umso mehr müssen sie das Exil als Chance sehen. Sie wissen um die Risiken. Sei’s drum. Sie senden, auf allen Kanälen, Nachrichten und Fakten über den Krieg, seine Verbrechen. Und die Täter. Wenigstens diese – eher deutsche – Ausrede soll nicht gelten in Putins neuer russischer Welt: Dass man „es“ ja nicht wissen konnte.


* Zitat: Von 1923 bis 1937 lebte der russische Schriftsteller Vladimir Nabokov in Berlin im Exil.
Bild: Lesser Urys „Unter den Linden“, 1920.

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