Warum die Bündnisse mit der CDU in Baden-Württemberg und Hessen für die Grünen so wichtig sind
Warum die Bündnisse mit der CDU in Baden-Württemberg und Hessen für die Grünen so wichtig sind
Als Winfried Kretschmann die baden-württembergischen Grünen auf einen erneuten Koalitionskurs mit der CDU zwang, kochten viele Grüne vor Wut. „Falsch und fatal“ sei der Schritt im Südwesten Deutschlands, schimpfte die Sprecherin der Grünen Jugend, Anna Peters.
Doch Kretschmann focht dies nicht an. Die Grünen könnten in den Koalitionsverhandlungen mit der CDU doch viel mehr inhaltliche Positionen durchsetzen als in einem instabilen Dreierbündnis mit FDP und SPD, argumentierte er. Nebenbei verwies er auf die Einschätzung der Wahlforscher, dass nicht etwa seine Partei, sondern vor allem er selbst mit seinem Ansehen diesen Wahlsieg und das Traumergebnis von 30,3 Prozent geholt habe. Motto: Wer die Prozente holt, bestimmt.
Auch die Bundes-Grünen haben über die Jahre immer wieder mit Kretschmanns manchmal eigenwilligen Positionen gehadert. Aber letztlich dürfte der Höhenflug der Partei im Bund zu einem erheblichen Teil auf die grün-schwarzen oder schwarz-grünen Bündnisse in Baden-Württemberg (seit 2016) und Hessen (seit 2014) zurückzuführen sein. Denn die relativ lautlos regierenden Koalitionen mit der CDU in Stuttgart und Wiesbaden haben die Grünen aus der strategischen Festlegung im linken Koalitionslager geholt. Die ebenfalls relativ konfliktfreie Jamaika-Koalition in Kiel aus CDU, Grünen und FDP wiederum legte die Grundlage für den Aufstieg des heutigen Ko-Vorsitzenden Robert Habeck. Das hat die Grünen insgesamt in Umfragehöhen jenseits der 20 Prozent geschossen, ab der man ein Image als Klientelpartei abstreifen kann.
Sowohl in Baden-Württemberg, Hessen als auch in Schleswig-Holstein werden dafür zwei Punkte besonders verantwortlich gemacht – Stil und politischer Pragmatismus. Weder Kretschmann noch der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Tarek Al-Wazir gehen aggressiv auf ihre Gegner los. „Wir gackern weniger laut als die anderen, legen aber die schönsten Eier“, scherzte Al-Wazir schon 2018.
Genau diesen Stil, politische Gegner bis auf die AfD bewusst nicht oder nur selten persönlich anzugreifen, pflegen auch Habeck und die Ko-Vorsitzende Annalena Baerbock auf Bundesebene. Auch wenn politische Gegner dies als „Harmoniesoße“ kritisieren, hat Habeck dies immer wieder als Erfolgsrezept für seine Regierungsjahre in Kiel bezeichnet. Jenseits der Differenzen bei Sachthemen eröffnet erst dieser Stil die Möglichkeit, in den sogenannten „bürgerlichen“ Gefilden bei konsensorientierten deutschen Wählern zu wildern. Nicht umsonst haben der CDU-Vorsitzende Armin Laschet und CSU-Chef Markus Söder die Grünen zum Hauptwettbewerber bei der Bundestagswahl erklärt.
Dazu kommt eine Kompromissfähigkeit trotz durchaus radikaler Forderungen in den Wahlprogrammen, weshalb Parteilinke und Parteijugend immer wieder einmal Verrat an Kernpositionen kritisieren. Kretschmann hat in Stuttgart eben keinen Frontalangriff gegen die Autoindustrie gestartet, die das Rückgrat der dortigen Wirtschaft bildet. Weder beim Ausbau der Wind- noch der Photovoltaik hatten die Grünen ihre hochgesteckten Ziele im Ländle erreicht. Al-Wazir wiederum hat in Hessen das Schneisen-Schlagen durch den Dannenröder Forst für einen Autobahnbau mitgetragen. Die hessischen Grünen haben auch den weiteren Ausbau des zentralen deutschen Flughafens Frankfurt nicht verhindert. In der Bilanz vor der jüngsten Landtagswahl bilanzierten sie, dass das Land „grüner“ und „gerechter“ geworden sei – das klingt nach Evolution, nicht Revolution.
Mit reiner Lehre, auf die Grüne in der Opposition mit regulatorischen Forderungen immer wieder pochen, hat dies wenig zu tun – und über die Jahre änderte sich so das Image der Partei. Das Ergebnis bei Wahlen: In Baden-Württemberg landeten die Grünen erstmals über 30 Prozent und wurden nicht von radikaleren neuen ökologischen Bewegungen abgestraft. Was die Grünen an radikale Öko-Aktivisten verlieren, bekommen sie offenbar in der politischen Mitte an Wählerstimmen hinzu. In Hessen liegen sie in allen Umfragen solide an zweiter Stelle hinter der Union. Besonderer Triumph Kretschmanns: Er punktete in genau jenem Wählersegment, das bisher fest in Unions-Hand schien: den Älteren. Gerade bei diesen Wählern, die überdurchschnittlich oft eben keine Revolution wollen, sondern sich nach Stabilität sehnen, bekamen die Grünen Vertrauen geschenkt.
Es ist ein politischer Kreislauf: Regierungsmacht und -verantwortung führt in den typisch deutschen Koalitionsregierungen notgedrungen zu Pragmatismus – und Pragmatismus eröffnet wiederum neue Machtoptionen. Die Grünen regieren heute in elf Bundesländern in sehr verschiedenen Koalitionen mit, mal mit CDU, SPD, FDP und Linken. Fast noch wichtiger: Sie besetzen dabei völlig unterschiedliche Ressorts und keineswegs nur die Umweltministerien. Das macht es politischen Gegnern in Wahlkämpfen zumindest schwerer, vor desaströsen Folgen der Gefahr einer Regierungsbeteiligung und mangelnder Themenbreite der Grünen zu warnen.
Und es zeigt das strategische Dilemma, vor dem etwa Union und FDP im Wahlkampf stehen, wenn sie die Grünen angreifen. Sie können zwar etwa vor wachsenden Regulierungs- und Bürokratietendenzen warnen. Aber es fehlt mittlerweile das „Angst-Moment“ in der Auseinandersetzung – auch wenn etwa die Union stets betont, dass viele Landes-Grüne anders seien als die „linkeren“ Bundes-Grünen und sich selbst als Schutzwall vor einer Grün-Rot-Rot-Koalition präsentiert.
Sogar zwischen den Grünen und dem früheren Hassgegner CSU schmilzt übrigens das Eis teilweise. Der gleichzeitig ergraute und ergrünte bayerische Ministerpräsident Markus Söder erwähnte vor wenigen Tagen, dass er mit Kretschmann eine „Klima-Allianz“ der Südländer verabredet habe – für den Fall, dass er bayerischer Ministerpräsident bleiben sollte.