Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
„Brexit und kein Ende“ schreibt Rolf-Dieter Krause in diesem Hauptstadtbrief am Sonntag – und man mag in die Tischkante beißen und sich fragen, ob die ganze Operation nicht eigentümlich aus der Zeit gefallen sei. Gab es da im Jahr 2020 nicht andere, größere und nicht so sehr selbstverschuldete Probleme, auf die die Europäische Union in Zoom-Konferenzen Gehirnschmalz verwenden sollte?
Aber wie Krause, der Boris Johnsons Gebaren scharf kritisiert, dennoch zu Recht anmerkt: Das Vereinigte Königreich hat sich in einer demokratischen Abstimmung nun einmal dazu entschlossen, die EU zu verlassen. So ganz habe man das in Brüssel noch immer nicht verinnerlicht, erklärt Krause, der jahrelang für die ARD aus der EU-Hauptstadt berichtete. Johnson sei ein Spieler, aber die Europäer im Rat und in der Kommission, ließen sich auch von London zu viel gefallen. Ganz gleich, wie die Sache ausgeht, über die verzagte, verunsicherte und verwirrte EU und die bisher allzu glanzlose deutsche EU-Ratspräsidentschaft wird noch zu sprechen sein.
Im zweiten Beitrag dieses Hauptstadtbriefs entschlüsselt Uwe Jun mit feinem politologischen Besteck, warum der Transmissionsriemen zwischen Parlament und Bevölkerung aus der Spur zu geraten droht. Die AfD und ihre kläglichen Claqueure in den geistlosen Echokammern der sozialen Medien polemisieren; Jun, der an der Universität Trier lehrt und forscht und herausragende Studien zur Entwicklung der deutschen Parteien veröffentlicht hat, betrachtet die Lage analytisch-nüchtern: „Wie jede Organisation sind Parteien an ihrer Überlebensfähigkeit interessiert und versuchen, die Bedingungen entsprechend auszugestalten.“ Damit entlässt Jun Union und SPD, die in erster Linie dafür gesorgt haben, dass die Parlamentsreform so schmalbrüstig ausgefallen ist, nicht aus der Verantwortung. Der Sprecher des Arbeitskreises Parteienforschung der Deutschen Vereinigung für Politikwissenschaft warnt die Volksparteien, eben jene Verbindung zum Volk nicht leichtfertig noch weiter zu schwächen – und hält Vorschläge parat, wie das Wahlrecht doch noch verbessert werden könnte.
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis nächste Woche
Ihr Detlef Prinz