Über den leider nicht ganz so harmlosen historischen Schmu der Reichsbürger-Revolutionsfantasten
Über den leider nicht ganz so harmlosen historischen Schmu der Reichsbürger-Revolutionsfantasten
Der Sturm auf das Kapitol, mit dem Trump-Anhänger am 6. Januar die Bestätigung des Wahlsieges von Joe Biden verhindern wollten, sollte den revolutionären Anspruch der neuen rechten Bewegungen unterstreichen. Doch schon Trumps Wahlslogan „Make America great again!“ (MAGA) zeugt von einem eher restaurativen als revolutionären Charakter dieser Bewegung. Ihr geht es um nationale Wiedergeburt, die Wiederherstellung einer glorreichen Vergangenheit. Die Forschung nennt das einen klassischen „palingenetischen Mythos“, wie er typisch für ultranationalistische Bewegungen der jüngeren Geschichte bis hin zum Faschismus ist.
Von dieser Marschrichtung ins Gestern zeugten auch die bei der Randale im US-Kapitol mitgeführten Fahnen und Abzeichen. Anders als das Merchandise-Material des neuen QAnon-Verschwörungskults und die ebenfalls sichtbare Nazi-Symbolik stammte vieles, was auf den Bildern zu sehen war, aus dem Zeichenfundus der amerikanischen Geschichte. Die so genannte Gadsden Flag mit der Klapperschlange verwies ebenso wie die Pelzgewänder, in die sich manche der Angreifer gehüllt hatten, auf die Gründungphase der USA, die Fahne der Konföderierten auf den amerikanischen Sezessionskrieg. Damit war das historische Terrain bestimmt, in dem das Selbstverständnis der Trump-Getreuen wurzelt: Freiheitskampf, Rebellion und Widerstand gegen „fremde Mächte“ und alles als unamerikanisch Erachtete.
Angesichts der Vorbildfunktion, die die äußerste US-Rechte für ihr deutsches Pendant hat, lohnt sich ein Blick auf vergleichbare Referenzen hierzulande. Zahlreiche Propagandaelemente haben es dank globaler Vernetzung längst über den Atlantik geschafft. QAnon findet ebenso wie zahlreiche Memes der US-Alt-Right längst auch in Deutschland Verbreitung. Doch die historischen Referenzen der hiesigen Nationalisten weisen naturgemäß auf andere Kontexte. In ihren symbolischen Anleihen zeichnen sich zwei Schwerpunkte ab, die ebenfalls auf Freiheitskampf und vergangene Größe rekurrieren:
Besonders auf dem Gebiet der ehemaligen DDR ist eine Gleichsetzung der Bundesregierung mit dem Schlussstadium des SED-Regimes beliebt. Dafür steht das griffige Kürzel DDR 2.0 für die Bundesrepublik oder auch der AfD-Wahl-Slogan „Vollende die Wende“. Schließlich habe man das „System Honecker“ fallen sehen, warum sollte das mit dem „System Merkel“ nicht ebenfalls gelingen?
Das ahistorische Bild negiert die grundsätzliche Verschiedenheit beider Systeme, vor allem aber wertet es die eigene Position zum Kampf gegen eine Diktatur auf. Seit der Corona-Krise findet sich das Motiv noch auf den Nationalsozialismus ausgeweitet, indem sich Impfgegner und Corona-Leugner selbst mit NS-Verfolgten vergleichen, Sophie Scholl beschwören und durch die Verwendung gelber Sterne sogar zu „neuen Juden“ stilisieren.
Diese Diktaturvergleiche sowie die Berufung auf Widerstandskämpfer und Bürgerrechtsbewegungen stehen im Widerspruch zu einer anderen verbreiteten historischen Referenz des Milieus. Die schwarz-weiß-roten Fahnen, wie sie etwa bei den Tumulten vor dem Reichstagsgebäude im August vergangenen Jahres zu sehen waren, symbolisieren das 1871 gegründete und bis 1945 als Staat existente Deutsche Reich. Durch ihre Verwendung betont die sonst reichlich diffuse Protestströmung ihren Glauben an dessen Fortbestehen.
Das mag nach schrulliger Nostalgie klingen, hat aber einen ernsten Kern. Nicht nur war die politische Ordnung dieses Reiches, wie der Marburger Historiker Eckart Conze in seinem aktuellen Buch vor Augen führt, gegen jede parlamentarische Kontrolle konstruiert. Die Rede von seiner staatsrechtlichen Fortexistenz stellt die Nachkriegsordnung insgesamt in Frage. Sie impliziert nicht nur territoriale Ansprüche an andere Staaten, sondern soll die demokratische Gesellschaftsform grundsätzlich delegitimieren. Mit ihr verbunden ist der traditionelle Glaube, dass eine Republik keine dem deutschen Wesen angemessene Staatsform sei. In diesem Sinne begriffen bereits nach dem Fall des Kaiserreichs 1918 nationalistische Autoren die neugeschaffene Demokratie als „Interregnum“, das es schnell zu überwinden gelte. Zu den vielen Kämpfen, die in der Weimarer Republik ausgefochten wurden, zählte daher auch ein verbissener Kampf um Reichsfarbe und -flagge: schwarz-rot-gold gegen schwarz-weiß-rot.
Die Reichs-Rhetorik wurde durch die äußerste Rechte nach 1945 weitergeführt und ist mittlerweile erstaunlich popularisiert worden. Auf den ersten Blick mögen diese Referenzen im Vergleich zur Nazi-Symbolik noch das kleinere Übel sein, doch tatsächlich sind die Grenzen fließend. Denn der Reichsbezug gehörte bereits zum Programm der Sozialistischen Reichspartei (SRP), die 1952 als Nachfolgeorganisation der NSDAP verboten wurde. Schon bei der SRP diente die Behauptung der weiteren Existenz des Deutschen Reiches zur Berufung auf ein legitimes „Widerstandsrecht“ gegen die Bundesrepublik. Nach dieser Argumentation war die Nachkriegsordnung lediglich eine von den Besatzungsmächten oktroyierte Fremdkonstruktion, um Wille und Wesen des deutschen Volkes zu unterdrücken. Dagegen hätte das Deutsche Reich nie aufgehört zu existieren und repräsentiere den einzig legitimen deutschen Staat. Diese Konstruktion ist die Grundlage des seither durch die deutsche Rechte geisternden Gedankens eines „nationalen Widerstands“.
Zur Jahrtausendwende fabulierte das Deutsche Kolleg, eine von Reinhold Oberlercher und Horst Mahler begründete neonazistische Weltanschauungsschmiede, von der „Beendigung des gegenwärtigen Interregnums“ und der „Wiederherstellung“ des Deutschen Reiches. Neben einem „Verfassungsentwurf“ legte man auch Staatssymbole für ein „Viertes Reich“ vor, die heute ebenfalls auf rechten Demonstrationen von Pegida bis zu Coronaskeptikern zu sehen sind. Das Deutsche Kolleg ist in der Szene längst bedeutungslos, aber es kann als Auftakt zur heutigen Reichsbürger-Bewegung gesehen werden. Die symbolischen Kämpfe dieses Milieus werden inzwischen von der ganzen äußersten Rechten aufgegriffen.
Unzufriedenheit mit der Gegenwart ist seit jeher ein starker Antrieb für Proteste, doch wenn sich die Sehnsucht der imperialen Vergangenheit zuwendet, kann eine brisante Mischung entstehen. „Widerstand“, „Freiheitskampf“, „Systemsturz“, das ist die klassische Begleitmusik der Selbstermächtigung. Ihre Beschwörung durch eine zutiefst völkisch-nationalistische und autoritäre Strömung lässt nichts Gutes erwarten. Die ihren historischen Referenzen innewohnende Delegitimierung der Republik lässt eine weitere Radikalisierung des Milieus erwarten.