Gib’s ihm

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

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Gib’s ihm

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

Nach der als Analyse daherkommenden Legende hat Friedrich Merz beim CDU-Parteitag im Dezember 2018 gegen Annegret Kramp-Karrenbauer verloren, weil er, der doch der Liebling der Parteibasis gewesen sei, eine weniger wirksame Vorstellungsrede als seine Gegenkandidatin gehalten habe. Weil etwa Mikrophon und Lautsprecher scheppernd eingestellt gewesen seien. Oder wegen unvorteilhafter Beleuchtung. Manche seiner Anhänger gaben vor, das so zu sehen. Merz selbst meinte, nicht in Form gewesen zu sein. War also Rhetorik die Ursache dafür, dass nicht er, sondern AKK an die CDU-Parteispitze gewählt wurde? Oder lag es doch daran, dass Merz zuvor allzu selbstsicher aufgetreten war?

Bei wichtigen Parteitagsreden war es bisher üblich, dass sich nach Vollzug die Delegierten von den Plätzen erheben und rhythmisch klatschen. Erst die wahren Freunde, dann die Parteifreunde. Sie schauen auf die Uhr. Länger als fünf Minuten musste es sein. Der Inhalt der Rede ist wichtig. Entscheidend aber: Umstände und Form des Vortrags. Rhetorik also. Wer, beispielsweise, bloß das Protokoll der Rede Oskar Lafontaines auf dem SPD-Parteitag 1995 in Mannheim nachliest, wird sich über deren Wirkung wundern. Eigentlich sozialdemokratische Selbstverständlichkeiten: Gerechtigkeit, Friedenspolitik, Zusammenhalt. Doch Lafontaine – Stakkato, roter Kopf – riss die Delegierten von den Stühlen. Manche brüllten wie beim Boxkampf „Oskar, gib’s ihm“. Ihm – das war Rudolf Scharping, der tags darauf den SPD-Vorsitz verlor. Lafontaine wurde sein Nachfolger. Rhetorik als Blendwerk? Als Narkotikum?

Neue Rituale der Redekunst sind zu schaffen. Von den digitalen Parteitagen der Corona-Neuzeit blieb rednerisch bisher wenig in Erinnerung. Außer natürlich der Auftritt Jürgen Trittins, der daheim wutentbrannt auf seinen Laptop eindrosch. Fast so wie ein Parteitagsredner, der sich in Rage begeben hat, aufs Rednerpult trommelt. Die Reaktion? Ein nachsichtiger Moderator: Lieber Jürgen, es liegt an einer Rückkopplung. Die Aufgabe am kommenden Samstag, wenn sich – wieder beim CDU-Parteitag – Kandidaten vorzustellen haben: die Kunst der Rede ohne Auditorium. Wie Delegierte begeistern, die – in der Küche, im Wohnzimmer – am Laptop sitzen? Wie in menschenleerer Halle Emotionen zeigen und draußen hervorrufen? Wohl dem Bewerber, der bei einem TV-Entertainer zur Schule gegangen ist. Mittel zum Zweck bleibt Rhetorik allemal.

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