Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Richard Wagner traute Frauen nicht allzu viel zu. Schon gar nicht eine Führungsrolle. „Die Musik ist ein Weib“, schrieb er einst. Sie sei nur ein gebärender, keinesfalls ein zeugender Organismus. Erst wenn sie von den Ideen des Tondichters befruchtet sei, würde sie lebendige Melodien hervorbringen.
So wenig Sinn diese Allegorie ergibt, so aufschlussreich ist sie im Hinblick auf das Frauenbild des Musikgenies. Frauen hatten nach seinen Vorstellungen stets dienende, niemals führende Funktionen. Schon vor diesem Hintergrund nimmt es kaum Wunder, dass man sich erst nach 145 Jahren Festspielgeschichte in Bayreuth getraut hat, zur Eröffnung eine Frau ans Pult zu lassen.
Oksana Lynivs Auftritt war furios, ein atemberaubender Triumph, die Musikwelt aus dem Häuschen, das Publikum begeistert. Ja – Frauen können führen, mit dem Taktstock so oder so nicht schlechter als Männer, nur ließen diese sie unter Anführung krudester Argumente bisher nicht ran. Das beliebteste: Die Frauen seien eben noch nicht so weit. Seit Lynivs Debüt in Bayreuth, wo sie den „Fliegenden Holländer“ dirigierte, müsste damit eigentlich endgültig Schluss sein. Wird es aber nicht so schnell.
Schnödes Platzhirschtum
Bis heute kann man sich fragen, warum in der klassischen Musik die großen Bühnen überwiegend den Männern gehören. Das zeigen die Konzertprogramme der renommierten Veranstalter jedes Jahr aufs Neue. Dabei sind seit vielen Jahren die Studentinnen in den Konservatorien in der Überzahl. Im Fach Dirigieren machen sie 40 Prozent aus.
Die Antwort darauf hat weder etwas mit mangelnden Fähigkeiten oder fehlender Durchsetzungskraft der Frauen zu tun. Sie ist einer ganz anderen Sorge der noch immer männlich dominierten Musikszene geschuldet. Es geht schlicht und einfach um die begrenzte Anzahl an Posten, um die sich fortan eine größere Zahl von Künstlerinnen und Künstlern bewirbt, weil für die besten Stellen eben nicht mehr nur Männer, sondern auch außergewöhnliche Frauen antreten. Für männliche Musiker reduzieren sich dadurch die Chancen erheblich. Nicht nur für so manchen Dirigenten ist das existentiell. Das Bayreuther Dirigat des „Fliegenden Holländers“ kann eben nur einmal vergeben werden.
Bleiben wir zuversichtlich: Auch wenn sich Wagner im Grabe umdrehen würde, werden Festspiele kommen, an denen nicht nur eine, sondern mehrere Dirigentinnen auftreten, so wie jedes Jahr auch mehrere Dirigenten engagiert werden. Schon bald wird das alles keine Sensation mehr sein, sondern nur noch manch ambitionierten Dirigenten schmerzen. Und Richard Wagner: Wenn er einer solchen Vorstellung beiwohnte, ohne die Gelegenheit zu bekommen, einen Blick in den Graben zu werfen, er würde es wahrscheinlich noch nicht einmal bemerken.