Granatsplitter

Postskriptum

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Granatsplitter

Postskriptum

Eine unschöne Begebenheit aus den Tiefebenen des deutschen Diskurses über den Krieg in der Ukraine und die intellektuellen Kollateralschäden: Gabriele Krone-Schmalz, ehemalige Moskau-Korrespondentin der ARD und Autorin diverser Bücher über Russland, die auch unter juristischen Gesichtspunkten einigermaßen gefahrlos unter die Rubrik „Putin-Verstehertum“ zu kategorisieren sein dürften, hat der Osteuropa-Historikerin Franziska Davies eine strafbewehrte Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung zukommen lassen. Davies, die entschieden für – Waffenlieferungen einschließende – Solidarität mit der Ukraine eintritt, hatte Krone-Schmalz „eine langjährige und vehemente Verteidigerin des verbrecherischen Putin-Regimes“ genannt.

Krone-Schmalz’ Anwalt von der Kanzlei Höcker in Köln sagte gegenüber dem Portal t-online: „Frau Davies möchte nicht diskutieren, sondern ‚canceln‘“ – sie wolle Krone-Schmalz mithin zum Schweigen bringen, etwa dafür sorgen, dass sie nicht mehr in Talkshows eingeladen wird.

Wer die Neigung verspürt, kann auf den einschlägigen Kurznachrichtenplattformen virtuelle Stellvertreterkriege dazu verfolgen. Wir raten gleichwohl freundlich davon ab.

Ungleich größer ist dafür der Erkenntnisgewinn bei der Lektüre des Schlagabtauschs zwischen Davies und Ulrich K. Preuß jüngst im Merkur, der „Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken“ – oder: dem Gegenteil einer Kurznachrichtenplattform. Nicht dass dort etwa gediegen Freundlichkeiten ausgetauscht würden – im Gegenteil. Preuß, einst Professor am Berliner Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft mit mittlerem Legendenstatus, stellt in einem Essay zunächst demokratietheoretische Spekulationen an, inwiefern die deutsche Russland-Politik der vergangen 20 Jahre als ein „Fehler“ zu betrachten sei, denn ein solcher „besteht ja nicht in der bloßen Abweichung eines Zustands von bestimmten Normen und Zielen; der Kern des Fehlerbegriffs besteht in der Zurechnung dieser Abweichung, das heißt in der Identifizierung eines verantwortungsfähigen Akteurs für diese Abweichung“.

Davies antwortet in einer folgenden Ausgabe der Zeitschrift mit einer robusten Widerlegung, in der sie die politischen Implikationen für die Ukraine und den Westen deutlich macht, die sie aus Preuß’ Text herausliest: ein gefährliches Nichtverständnis der Putinschen Kriegsziele.

Preuß’ Replik fällt auffallend gereizt aus, sein Text sei „gar keine Meinungsäußerung im Sinne eines subjektiven Dafürhaltens“ gewesen, sondern eine „Reflexion über ein Problem, das im Frühjahr dieses Jahres in der deutschen öffentlichen Diskussion auftauchte, ange­stoßen durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Es geht in meinem Text um ein demokratietheoretisches Problem.“

Keine Frage, Davies und Preuß reden aneinander vorbei, polemisieren nicht immer elegant, unterstellen sich jeweils sinistre Motive oder mindestens getrübte Blicke. Aber dafür werden stellvertretend zwei markante Ausprägungen der Debatte über den Krieg und die Rolle Deutschlands und des Westens deutlich, ein intellektueller Gewinn. Wir raten zu.

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