Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Öffnen oder nicht öffnen – das ist die Frage, die am kommenden Mittwoch zwischen der Bundeskanzlerin und den Ministerpräsidenten verhandelt wird. Die unlängst festgelegten Inzidenzwerte der Kanzlerin machten eine Verlängerung des Lockdowns zwingend – wohl mindestens bis Ostern. Gleichwohl zeichnen sich vorsichtige Lockerungen ab. Das passt nicht zusammen.
Doch passt in der Corona-Krise noch viel mehr nicht zusammen. Die erste Pandemie klingt ab, eine zweite, bald wohl dritte baut sich auf. Die Impfdosen wurden so spät bestellt, dass sie die Verbreitung von Corona-Mutanten nicht mehr bremsen können. Dazu kommt, dass tausende Dosen ungenutzt bleiben. Bedenklicher noch: Die Bevölkerung, die sich 12 Monate lang en gros gehorsam an die vorgegebenen Beschränkungen gehalten hat, wird unruhig. Dank der vorausschauenden, restriktiven Politik der Bundeskanzlerin sei Deutschland vergleichsweise glimpflich durch die pandemische Krise gekommen, sagen jetzt die Mahner. Deshalb müsse man durchhalten. Aber stimmt das überhaupt?
Der glimpfliche Verlauf liegt sicher nicht an Merkels vermeintlich kluger Corona-Politik. Allzu klug ist ihre Strategie nämlich nicht, navigiert ihre Bundesregierung doch noch genauso durch das Infektionsgeschehen wie noch vor einem Jahr, als hätte sie in den vergangenen zwölf Monaten nichts lernen können. Im internationalen Vergleich glimpflich davongekommen ist Deutschland vor allem aufgrund der enormen Staatsgläubigkeit seiner Bürger. Wenn der Staat etwas vorschreibt, dann halten sie sich daran. Diese bürgerliche Staatsgläubigkeit hat Tradition. Man könnte fast sagen, sie gehört zur DNA des zentraleuropäischen Bürgerdaseins. Das ist für Regierungen ungemein praktisch. Deutschland ist, wenn Kollateralschäden des Staatshandelns mit Geld kompensiert werden, leicht zu regieren.
Dass selbst der Staat mitunter überfordert ist, merken die des Lockdowns müden Bürger jetzt. Sie sind des Regierens über die Verbreitung von Angst und Schrecken überdrüssig. Mehr noch, immer weniger Bürger können nachvollziehen, warum trotz unterschiedlichen Infektionsgeschehens alles überall gleich gehandhabt werden soll. So kann und wollen sie nicht leben.
Der anschwellende Unmut hat sich bis in die obersten Regierungskreise herumgesprochen. Merkel hat angeblich eine Strategie, über die wir am Mittwoch mehr erfahren werden. Bayerns Markus Söder ist derweil vorgeprescht und hat noch vor der nächsten Coronarunde konkrete Öffnungsschritte angekündigt. Er weiß, warum: Die Bürger hierzulande sind zwar keine Revolutionäre. Doch sie wissen genau, ab wann sie sich den Vorschriften einfach entziehen. Die Staatsgläubigkeit hat sogar bei den so braven Deutschen ihre Grenzen. Da bleibt selbst Merkel zum Öffnen keine Alternative.