Grünphase

Die SPD setzt zum Spurwechsel an, die Union landet auf dem Seitenstreifen – die Landtagswahlen und ihre Folgen

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DPA/DPA-POOL | MARIJAN MURAT
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Grünphase

Die SPD setzt zum Spurwechsel an, die Union landet auf dem Seitenstreifen – die Landtagswahlen und ihre Folgen

Man kann es nach dem vergangenen Sonntag nicht oft genug sagen: Landtagswahlen sind Landtagswahlen. Auch in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz war für eine breite absolute Mehrheit der Wählerschaft die Politik im Land für ihre Wahlentscheidung wichtiger als die Bundespolitik.

Die Wahlsiege der Grünen und der SPD sowie der schwarze Tag der CDU, die in beiden Ländern auf das historisch schlechteste Ergebnis in ihrer Geschichte zurückfiel, hat daher zunächst landespolitische Ursachen, und zwar vor allem personelle. Gewonnen haben Winfried Kretschmann und Malu Dreyer, die jeweiligen Superstars ihrer Partei, die aufgrund hoher parteiübergreifender persönlicher Zustimmungswerte und mit einer pragmatischen „nah bei de Leut“-Politik ihren Amtsbonus voll ausspielen konnten.

Beide lagen bei allen vier wesentlichen Eigenschaften, nach denen die Wählerschaft das politische Personal beurteilt – Sachkompetenz, Führungsstärke, Glaubwürdigkeit und persönliche Sympathie – sehr weit vor Susanne Eisenmann in Stuttgart und Christian Baldauf in Mainz. Es wundert daher nicht, dass in Baden-Württemberg die absolute Mehrheit der CDU-Anhänger Kretschmann als Ministerpräsident präferierte und nur ein Drittel die eigene Spitzenkandidatin.

Es gab jedoch durchaus auch inhaltliche Gründe für das Wahldesaster: Die Landes-CDU wurde insgesamt deutlich schlechter beurteilt als ihre Hauptkonkurrentinnen, und die Partei konnte bei den von den Wählern als wichtig erachteten Sachthemen weder aus der Regierung noch aus der Opposition heraus wirklich punkten. Zudem führen die schlechten Ergebnisse einen Negativtrend fort, der schon längere Zeit anhält: Die Zeiten absoluter CDU-Mehrheiten in den ehemaligen Stammländern sind schon seit der zweiten Hälfte der 1980er-Jahre vorbei.

Natürlich gibt es bei jeder Landtagswahl auch einen Einfluss der bundespolitischen Großwetterlage, und das Wahlergebnis strahlt auf die Bundesebene aus. Die beiden Landesverbände profitierten in den Umfragen zu Beginn der Coronakrise sehr stark von der Tatsache, dass das Dreiergespann aus Angela Merkel, Jens Spahn und Markus Söder sich als effizientes Krisenmanagement-Team profilierte und die Kompetenz zur Krisenbewältigung einseitig der Union zugewiesen wurde. Das bröckelte aber bald wieder, und die Impfmisere, das Schnelltestdebakel und auf den letzten Metern die Maskenaffäre führten zu einem starken bundespolitischen Gegenwind.

Die Bundes-CDU, die nach dem Wahldebakel auf unter 30 Prozent abgesackt ist, steckt in einer tiefen Krise. Sie steht ohne einen Kanzlerkandidaten und ein Programm da und hat einen Parteivorsitzenden mit mäßigen Beurteilungswerten beim Wahlvolk.

Zudem beschädigen die Entwicklungen der vergangenen Wochen zwei der wesentlichen Erfolgsgaranten der Vergangenheit: Die Fehler bei der Bewältigung der Corona-Pandemie zerstören den Nimbus der geborenen Regierungspartei, auf deren Krisenmanagement sich die Bürgerinnen und Bürger verlassen können. Und die Vorwürfe, dass sich Abgeordnete durch die Wirtschaft schmieren lassen, beschädigt den traditionellen Markenkern der Partei, ihre Wirtschaftskompetenz, die sowieso schon seit geraumer Zeit – nicht nur durch die schwache Performanz des jetzigen Wirtschaftsministers Peter Altmaier – gelitten hat. Jetzt kommt auch noch die Diskussion um eine bundesweite Ampel hinzu, die die Union jeglicher Machtperspektive berauben würde.

Doch auch für die drei möglichen Partner eines solchen Bündnisses ist die Situation nicht so rosig, wie die Parteistrategen glauben machen wollen. Davon abgesehen, dass die Landtagswahlerfolge der Grünen und SPD vor allem wegen der völlig anderen personellen Situation nicht auf die Bundesebene übertragen werden können und eine Ampel daher schon rein rechnerisch nicht so einfach zu erreichen ist, stellt sie für alle ein zweischneidiges Schwert dar. Einerseits eröffnet sie eine Machtoption jenseits von Schwarz-Grün oder Grün-Rot-Rot. Andererseits ist sie in allen drei Parteien innerparteilich höchst umstritten.

Wenn die SPD-Vorsitzenden von einem „progressiven Bündnis“ ohne die Union sprechen, meinen sie damit eine Koalition mit Grünen und Linkspartei, während sich das Scholz-Team auf die Ampel einzuschießen scheint. Für große Teile der Grünen-Basis sind nicht nur die inhaltlichen Differenzen, sondern auch die kulturelle Distanz zur FDP-Klientel sehr groß, und die FDP kann mit einer Ampeldiskussion zwar die Emanzipation vom Image des natürlichen Koalitionspartners der Union weiter vorantreiben, eine Koalition mit den Bundes-Grünen stößt aber in der Partei auf weit größeren Widerstand als auf Landesebene.

Die SPD hat ihren programmatischen Linkskurs seit dem Parteitag 2019 konsequent fortgesetzt, und die Grünen stellen mit ihren Forderungen nach Staatsinterventionen, Umverteilung und ihrer multikulturell orientierten Identitätspolitik wirtschafts- und gesellschaftspolitisch eindeutig eine linke Partei dar. FDP-Chef Christian Lindner hat daher nicht ganz Unrecht, wenn er davon spricht, dass SPD und Grüne im Bund „nur Spurenelemente der politischen Vorstellungen der FDP gut“ finden würden.

Je näher der Termin für die Bundestagswahl rückt, desto schwieriger dürfte es für die drei Parteien auch werden, unter Verweis auf ihre Eigenständigkeit und den Kampf um die eigenen Inhalte die Diskussionen um die koalitionspolitische Ausrichtung zu unterdrücken, denn immer mehr Wählerinnen und Wähler werden sich dann fragen, was sie eigentlich bekommen, wenn sie eine dieser Parteien wählen.

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