Händedruck mit der Geschichte

In Zeiten von Misstrauen und Sprachlosigkeit sollten wir uns auf Gorbatschow besinnen

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Händedruck mit der Geschichte

In Zeiten von Misstrauen und Sprachlosigkeit sollten wir uns auf Gorbatschow besinnen

Die Begegnung mit einem großen Mann der Weltpolitik vergisst man nicht. Als ich am 21. Juli 2015 in einem Moskauer Hotel am Rednerpult stand, war ich schon etwas aufgeregt. Direkt vor mir, in der ersten Reihe, saß der Friedensnobelpreisträger und frühere Kremlchef Michail Gorbatschow.

Ebenfalls anwesend: der inzwischen verstorbene Egon Bahr, Vordenker für Willy Brandts Ostpolitik. Mir fiel damals die Aufgabe zu, das deutsch-russische Verhältnis aus der Perspektive der Familienunternehmen zu beleuchten. Der Anlass dafür war die Buchvorstellung meines Freundes Wilfried Scharnagl, der in der russischen Hauptstadt sein druckfrisches Werk mit der ihm eigenen Überzeugungskraft präsentierte. Das Buch mit dem Titel „Am Abgrund. Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland“ (Keyser Verlag) ist heute noch hochaktuell.

Für mich war es eine große Ehre, dass ich nach dem offiziellen Teil mit Gorbatschow sprechen konnte. Zusammengeführt hat uns mein Freund Detlef Prinz. In meinem Vortrag war ich nicht nur auf wirtschaftliche Zusammenhänge eingegangen, sondern brachte meine tiefe Bewunderung für Russlands Geist und Kultur zum Ausdruck. So kamen wir schnell ins Gespräch. Die Unterhaltung mit diesem außergewöhnlichen Staatsmann hat mich sehr beeindruckt. Er ist ein Mensch mit großer Weitsicht, Aufgeschlossenheit und Humor.

Gorbatschow ging als Generalsekretär der Kommunistischen Partei und Vorsitzender des Verteidigungsrats der Union der Sozialistischen Sowjetrepubliken persönlich höchste Risiken ein, als er den Weg zur deutschen Einheit freimachte. Den ersten wichtigen Schritt dazu hatte er getan, als er im Februar 1987 den bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß nach Moskau einlud. Das war ein wichtiges Zeichen inmitten der feindseligen Atmosphäre im Kalten Krieg. In die Geschichtsbücher ging das Treffen auch deshalb ein, weil Strauß – selbst am Steuer des Flugzeugs – in einem mutigen Manöver bei Eisregen den Moskauer Flughafen erreichte. Die Begegnung markierte den Beginn einer neuen Etappe.

Gorbatschows Verbindungen zu Deutschland bestehen bis heute. Dass er es sich im hohen Alter nicht nehmen ließ, zur Buchvorstellung in Moskau zu erscheinen, zeigt, was junge Menschen heute kaum noch wissen: Gorbatschow ist ein großer Freund Deutschlands. Das spürten die Menschen. Bei seinen Deutschlandbesuchen ist er oft mit „Gorbi, Gorbi!“-Rufen empfangen worden. Sein 90. Geburtstag erinnert daran, was wir ihm zu verdanken haben.

Die deutschen Familienunternehmen bringen einem der größten Reformer des 20. Jahrhunderts höchste Anerkennung entgegen. Seine Fähigkeit, Brücken zu bauen, ist heute notwendiger denn je. Die rund 4000 in Russland tätigen deutschen Unternehmen, der Großteil davon Familienunternehmen, schätzen Russland als Geschäftspartner. Doch die Bedingungen haben sich verschlechtert. Seit der Einführung der EU-Sanktionen im Zuge der Ukraine-Krise 2014 musste sich ein Teil der deutschen Unternehmen aus dem russischen Markt zurückziehen. Gerade in jüngster Zeit nehmen die wirtschaftlichen Spannungen zu. Die deutschen Familienunternehmen akzeptieren den Primat der Politik. Sie sind aber davon überzeugt, dass das Prinzip „Wandel durch Handel“ nach wie vor seine Gültigkeit hat.

Zu erinnern ist auch daran, was Politiker wie Strauß nur zu gut wussten: Die Entwicklungen in Russland sind nicht allein mit westlichen Maßstäben und Zielen zu vergleichen. Sanktionen dürfen kein Allheilmittel sein. Es ist jedenfalls keine gute Entwicklung, dass mittlerweile bei jedem neuen Konflikt sogleich nach weiteren Sanktionen gerufen wird. Gerade in Zeiten, in denen im deutsch-russischen Verhältnis Misstrauen und Sprachlosigkeit zunehmen, sollten wir uns auf Gorbatschow besinnen. Als er unlängst gefragt wurde, was sein größter Geburtstagswunsch ist, antwortete er: „Freundschaft und Unterstützung.“ Damit spricht er uns aus dem Herzen.

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