Hätte, hätte, Lieferkette

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Hätte, hätte, Lieferkette

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

Medikamente sind knapp. Spätestens im Herbst werden das auch die heute noch Gesunden bemerken. Dann nämlich, wenn sie ein grippaler Infekt oder auch Corona erwischt. Etliche gängige Präparate sind beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte als nicht lieferbar gelistet. Darunter derzeit vor allem schmerzlindernde und fiebersenkende Mittel für Kinder, aber auch der eine oder andere Blutdrucksenker. Das Problem ist schon länger augenfällig. Zur Begründung der Malaise müssen nun schon lange dieselben Schlagworte herhalten: Corona und die dadurch unterbrochenen Lieferketten.

Aus Kostengründen verlässt sich Deutschland vor allem bei der Produktion von Generika auf das ferne Ausland. Das war nicht immer so. Noch um das Jahr 2000 wurden fast 60 Prozent aller zugelassenen Medikamente in Europa hergestellt. Inzwischen kommen 63 Prozent aus Indien und vor allem aus China. Wenn sie denn kommen. Apotheken haben bereits begonnen, eigens Fiebersäfte für Kinder zu brauen.

Die derzeit fernab breiter öffentlicher Wahrnehmung konstatierten Lieferengpässe bei Medikamenten sind also nicht neu. Doch addiert sich diese Malaise zu einer zunehmend fragwürdigen Gemengelage.

Die Felder, auf denen sich Deutschland mehr oder weniger bewusst in die Abhängigkeit anderer Staaten begeben hat, sind nicht nur viele, sondern auch solche, die für das Funktionieren von Gesellschaft und Wirtschaft eine zentrale Bedeutung haben. Da geht es ja nicht nur um Medikamente aus Asien oder Gas aus Russland. Da stellt sich auch die Frage nach der Lieferung von Metallen und Mineralien, ohne die gerade im industrielastigen Deutschland gar nichts funktioniert. Auch dort verlässt sich Deutschland zu 90 Prozent auf die Lieferbereitschaft der Volksrepublik China, die über die Verarbeitungskapazitäten für die Metalle und seltenen Erden verfügt. Kaum anders verhält es sich in der Halbleiterindustrie, an der Taiwan einen Weltmarktanteil von mindestens 50 Prozent besitzt. Und Taiwans Lieferverlässlichkeit hängt wiederum an China. Nicht zuletzt stellt sich die Frage nach dem Internet aus dem Weltraum, auf das nicht nur Teile der deutschen Wirtschaft, sondern auch Bundesbehörden angewiesen sind. Deutsche Anbieter dafür gibt es nicht.

Diese Abhängigkeiten werfen kein günstiges Licht auf das vielfach bewunderte Erfolgsmodell der drittgrößten Volkswirtschaft der Welt. Denn Deutschland hat sich seine Erfolge eben auch mit einer Importstrategie erkauft, die sich die internationale Arbeitsteilung zunutze machte, um sich – im Rückblick allzu naiv – dabei vor allem an den Preisen zu orientieren. Je günstiger, desto besser. Solange es eben gutgeht. Eine Diversifizierung des Lieferantenportfolios war nur selten ein Thema.

Heute, bei dramatisch veränderter geopolitischer Lage, muss der Blick auf Abhängigkeitskonstellationen einer gesamten Volkswirtschaft wohl ein anderer sein. Die Außenhandelspolitik der vergangenen Jahrzehnte war hochriskant und muss neu ansetzen. Auch wenn die derzeitige Bundesregierung in diesen Krisenzeiten vieles leistet, stünde am Anfang eines dringend notwendigen Strategiewechsels eine grundsätzliche Analyse deutscher Abhängigkeiten von einzelnen Staaten oder Großkonzernen auf zentralen Feldern. In die muss sie dringend investieren. Denn tiefere Kenntnisse darüber würden wohl auch die größten Verfechter internationaler Arbeitsteilung davon überzeugen, dass der Preis eben nicht alles ist.

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