Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Die katholische Kirche in Deutschland kämpft ums Überleben.
In der vergangenen Woche wieder, diesmal in Frankfurt. Den Segen Roms haben die ernsthaft Reformwilligen nicht. Im Gegenteil – je vehementer sie sich um gesellschaftliche Relevanz durch ein glaubwürdiges spirituelles Angebot bemühen, desto kategorischer hallt ihnen das römische Nein entgegen. Mit erheblichen Konsequenzen. Erschreckender noch als die ungebrochene Welle an Kirchenaustritten lesen sich die Ergebnisse einer jüngeren Umfrage von Forsa zum Vertrauen der Menschen in diese Institution. Nur noch 8 Prozent der Bundesbürgerinnen und -bürger hegen ein solches der katholischen Kirche gegenüber. Zum Vergleich: Beim Islam sind es 6 Prozent. Dieser Vertrauensverlust ist Vorbote weiterer Austrittswellen. Die katholische Kirche in Deutschland marginalisiert sich – in einem atemberaubenden Tempo. Dass sich die Institution Kirche generell (noch) nicht überholt hat, zeigen die Umfrageergebnisse für die Protestanten. An die Vertrauenswürdigkeit der evangelischen Kirche glauben immerhin noch 31 Prozent der Bevölkerung. Dabei haben die Menschen keine Schwierigkeiten mit ihrem Glauben, sondern mit der Institution. Ja, man kann auch ohne die katholische Kirche Christ und Christin sein.
Die Gründe für das Desaster sind mannigfaltig. Im Zentrum allerdings steht das mittelalterliche Priesterbild mit dem Priester als „besserem“ Menschen – durch die Weihe vermeintlich Gott näher, woraus die Kirche fatalerweise nicht nur priesterliche Autorität ableitet, sondern ihm auch unzweifelhaft Kompetenz zuschreibt. Nicht nur, dass es sich dabei wahrlich um kein neuzeitliches Konzept handelt. Tausendfach hat die katholische Kirche bewiesen, dass dem gerade nicht so ist. Das Priesterbild ist der grundlegende Systemfehler. Mit ihm wird sie nicht zu retten sein – allen Bemühungen der so ernsthaften Reformer, die genau das ändern wollen, zum Trotz.
Dabei ist der rapide Bedeutungsverlust einer Institution wie der katholischen Kirche alles andere als trivial, auch wenn es derzeit so scheint, als bräuchte man sie nicht mehr. Gesellschaften organisieren sich über Institutionen, und sie werden von ihnen zusammengehalten: über politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche, sportliche, kulturelle und eben religiöse, die, wenn sie gut funktionieren, viel mehr als soziale Organisationsvehikel sind. Sie tragen alle zusammen das demokratische System, das auf Partizipation nicht verzichten kann. Institutionen sind auch Foren, über die Menschen in einen friedlichen, geregelten Austausch treten können, und das nicht wie üblich in der Demokratie im Widerstreit, sondern auf Basis gemeinsamer Weltanschauung. Für das sozialen Überleben sind sie daher konstitutiv. Irgendwo müssen Menschen eben auch zuhause sein. Das Potential dazu hätte auch weiterhin die katholische Kirche, denn sie hat auf der Basis des Neuen Testaments noch immer einen hochrelevanten Wertekanon anzubieten. Wenn die Ideologen an ihrer Spitze in Rom und teilweise hier in Deutschland nur endlich begriffen, dass weder priesterliche Überlegenheit noch das Zölibat und schon gar nicht die Diskriminierung etwa von Frauen, homosexueller oder wiederverheirateter Paare je Bestandteile christlicher Grundwerte waren.