Der FDP geht es auf einmal gut – und der Partei könnte im Herbst eine entscheidende Rolle zufallen.
Der FDP geht es auf einmal gut – und der Partei könnte im Herbst eine entscheidende Rolle zufallen.
Als Christian Lindner am Ende November 2017 vor der baden-württembergischen Landesvertretung stand, verkündete er mit dem Aus für die damaligen Jamaika-Sondierungen eine Entscheidung, die die Liberalen für Jahre prägte. Lange musste sich der FDP-Chef den Vorwurf anhören, er habe das Land in eine ungeliebte schwarz-rote Koalition getrieben. FDP-Kritik an dem Kurs wurde stets mit dem Hinweis gekontert: „Ihr habt euch verweigert, also schweigt.“
Aber wenn Lindner heute auf die Umfragewerte seiner Partei schaut, kann er sich bestätigt fühlen. Denn den prognostizierten Absturz in die Bedeutungslosigkeit hat es eben nicht gegeben. Ob dies wirklich an seiner damaligen Entscheidung oder anderen Faktoren lag, lässt sich nicht klar sagen. Lindner glaubte, nach dem Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde 2013 beweisen zu müssen, dass die FDP nicht um jeden Preis regieren wolle, also keine „Umfallerpartei“ sei. Jedenfalls können die Liberalen Mitte 2021 sogar hoffen, zur drittplatzierten SPD aufzuschließen.
Vier gewinnt?
Genüsslich verfolgen führende Liberale die öffentliche Debatte, ob das sogenannte grün-schwarz-rote Triell mit Annalena Baerbock, Armin Laschet und Olaf Scholz wirklich das richtige Format für Fernsehdebatten sei – oder ob man nicht entweder den SPD-Kandidaten ausladen oder Lindner als vierte Person dazu laden müsste. Tatsächlich tritt Lindner zwar anders als Baerbock, Laschet und Scholz nicht mit dem Anspruch an, ins Kanzleramt einzuziehen. Aber die FDP könnte nach der Bundestagswahl Königinnen- oder Königsmacher werden. Allein das sichert der Partei neue Aufmerksamkeit.
Politischen Beobachtern sollte die FDP damit warnendes Beispiel sein, künftig besser auf zu schnelle Abgesänge auf Parteien zu verzichten – die es übrigens früher auch schon auf die Grünen gegeben hatte. Denn es stimmt zwar, dass die FDP in den ersten beiden Jahren der erneuten Union-SPD-Bundesregierung deutliche Sympathieverluste erfuhr. Aber spätestens seit dem Personalstreit in der Union und der Coronakrise hat sich die Lage entscheidend verändert. Angesichts der Pandemie-Beschränkungen konnten die Liberalen bei Kritikern der Regierungspolitik etwa mit Mahnungen gegen vermeintlich zu weitgehende Einschnitten punkten. Nun könnte die FDP zumindest laut Umfragen erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik bei zwei Wahlen nacheinander über die Zehn-Prozent-Marke springen.
Liberale, hört die Signale
Nur: Umgekehrt gilt auch, dass sich die gegenwärtigen Umfragen nicht einfach als Garantie für ein gutes Wahlergebnis am 26. September fortschreiben lassen. Die Grünen erleben gerade, dass auch Höhenflüge enden oder zumindest unterbrochen werden können. Und die FDP muss fürchten, dass das Ende der Zerstrittenheit zwischen CDU und CSU Wähler zurück zur Union treiben könnte. Es gibt zwar Wähler, die etwa lieber den wirtschaftsliberalen Friedrich Merz als CDU-Chef oder Markus Söder als Kanzlerkandidaten der Union gesehen hätten und deshalb FDP wählen werden. Aber umgekehrt gibt es kaum einen CDU-Politiker, der wegen der lautlos agierenden schwarz-gelben Koalition in Nordrhein-Westfalen als so FDP-kompatibel gilt wie Laschet.
Dessen Rhetorik der „Entfesselungspakete“ und des „Modernisierungsjahrzehnts“, die sich auch im Wahlprogramm der Union wiederfindet, klingt sogar so, als ob er bewusst um FDP-Wähler wirbt – zumal Laschet immer wieder betont, dass ihm ein Bündnis mit den Liberalen auch auf Bundesebene am liebsten wäre. Dazu kommt, dass die Regierungsparteien von CDU und CSU derzeit in dem Maße wieder an Zustimmung gewinnen, in dem sich der Frust über die Coronapolitik legt.
Liberale Albträume
Paradoxerweise könnte der FDP bei der Wahl zudem ausgerechnet die derzeitige Stärke schaden – gerade weil sie als potenzieller Koalitionspartner gesehen wird. Je näher die Wahl rückt, desto mehr wird neben der Positionierung in Sachthemen auch die Frage in den Vordergrund rücken, wen die Partei eigentlich zur Königin oder wen zum König küren würde – was also aus einer Stimme für die FDP wird. Die Antwort ist heikel, auch wenn sie der parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, herunterzuspielen versucht. „Glaubt jemand ernsthaft, dass die FDP nachts heimlich davon träumt, Frau Baerbock ohne Not zur Kanzlerin zu wählen?“, twitterte er und kritisierte, dass die Union bewusst eine Debatte über eine Ampelkoalition mit Grünen, SPD und FDP anschiebe.
Nur beantwortet dies nicht die Frage, was „ohne Not“ genau bedeutet. Was würde die FDP tun, wenn es am Wahlabend rechnerisch nur die Option zwischen Schwarz-Grün oder einer grün geführten Ampel mit SPD und FDP geben sollte? Was wiegt dann schwerer: Die ernüchternde Aussicht auf vier weitere Jahre ohne Regierungsverantwortung oder Lindners Absagebegründung einer Jamaika-Koalition mit Union und Grünen von 2017? Damals hatte er gesagt, dass es besser sei, nicht zu regieren, „als falsch zu regieren“. Die FDP sei von der vorgeschlagenen Politik „im Kern nicht überzeugt“ gewesen. Aber 2021 wollen die Grünen eine noch entschiedenere Politik gegen den Klimawandel – und erst am Donnerstag warnte Lindner in der Europadebatte die anderen Parteien vor dem Weg in eine Schuldenunion auf EU-Ebene.
Die Abwägung zwischen Prinzipientreue und Kompromissen für eine Regierungsbeteiligung kann also gerade für die FDP schwierig werden. Und Buschmann liegt nicht falsch in der Annahme, dass CDU und CSU am Ende unter FDP-Anhängern mit dem taktischen Hinweis wildern wollen, mit einer Stimme für die Union verhindere man am ehesten eine Grünen-Kanzlerin oder einen SPD-Kanzler.