Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
wie darf man das denn nun nennen, ein Reförmchen, einen ersten Schritt, einen faulen Kompromiss – im Sinne Norbert Blüms der einzige, der zählt, denn dass am Ende alle etwas unzufrieden seien, zeige nun einmal, dass alle Seiten etwas nachgeben mussten, dass die verschiedenen Interessen „ausgeglichen“ wurden?
Wir haben Ernst Hebeker gebeten, der für den Hauptstadtbrief am Sonntag im November vergangenen Jahres eine so ausführliche wie pointierte Analyse der Vorschläge zur Wahlrechtsreform vorgenommen hatte, die Einigung zwischen Union und SPD diese Woche für uns einzuordnen. Hebeker, der viele Jahre Sprecher des Deutschen Bundestags war und sich in der Materie wie kaum ein Zweiter auskennt, ist alles andere als begeistert von der voraussichtlich sehr vorsichtigen Senkung der Zahl der Abgeordneten im kommenden Bundestag und noch weniger von der Vertagung einer „echten“ Reform auf die kommende Legislaturperiode – oder gar den sprichwörtlichen Sankt-Nimmerleins-Tag. Aber Hebeker versteht es auch, noch einmal konzise zu umreißen, warum vor allem die CSU sich in einer anderen Lage als die anderen Parteien befindet. Ganz gleich, ob man nun empört oder enttäuscht ist, hilft es doch, Hebekers Einschätzung zu lesen.
Anschließend können Sie gleich weiterlesen – denn Hedwig Richter hat uns zum besten denkbaren Zeitpunkt einen so klugen wie eleganten Essay geschickt, in dem sie den Zeithorizont der Demokratieentwicklung angenehm ausweitet. Richter, Professorin für Geschichte an der Universität der Bundeswehr in München und von der Demokratiestiftung für ihre hervorstechende Forschungsleistung ausgezeichnet, entfaltet für diesen Hauptstadtbrief auf engem Raum ein Kompendium der Demokratieentwicklung in Deutschland. Mit sanften Seitenhieben gegen Heinrich August Winklers allzu oft zitierte, aber zugleich unzulänglich hinterfragte These vom „langen Weg nach Westen“ und fortschrittlich interpretierten Bezügen auf Reinhart Kosellecks legendäre Studie zur Entwicklung der „bürgerlichen Welt“ aus dem Jahr 1959, vergisst Richter aber auch das notwendige Klein-Klein der Demokratie nicht, womit wir auch wieder bei der Parlamentsreform dieser Tage wären: „Reformen aber sind mühsam und langwierig. Sie bedürfen der Kompromisse.“
Hedwig Richters neue ausführliche Studie zum Thema kann ich, das mal nebenbei, nicht wärmstens genug empfehlen: „Demokratie. Eine deutsche Affäre. Vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart“ ist in diesen Tagen bei C.H. Beck erschienen, ein großes, ein wichtiges Buch.
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich bis zur nächsten Woche
Ihr Detlef Prinz