Manuela Schwesig bringt sich in Position in Schwerin – und in Berlin
Manuela Schwesig bringt sich in Position in Schwerin – und in Berlin
Wenn es mal wieder lange Tage waren, geht sie am nächsten Morgen laufen. Rund um den Pfaffenteich. Der liegt unmittelbar vor der Haustür von Manuela Schwesig (SPD) in der Schweriner Innenstadt. Am gegenüberliegenden Ufer im Arsenal residierte bis vor kurzem ihr langjähriger Wegbegleiter und Garant der rot-schwarzen Koalition in Mecklenburg-Vorpommern, Lorenz Caffier (CDU). Zu Beginn ihres Morgenlaufs hört die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern immer „Von guten Mächten wunderbar geborgen“. Zum Schluss, wenn sie die sechs Kilometer hinter sich hat, dröhnt aus den Ohrhörern „Eye of the Tiger“ aus dem Rocky-Film. „Dann bin ich wieder auf Betriebstemperatur“, erzählt die 46-Jährige lachend.
Oft geht es dann auf dem Fahrrad in die Staatskanzlei. Die Schweriner Innenstadt ist nicht so groß. Jeder kennt hier jeden. Es gibt da die Geschichte, dass an einem Dienstag das gesamte Kabinett warten musste, weil die Chefin einen bekannten Theaterschauspieler getroffen hatte und sich seine Sorgen anhörte. Später machte sie die Theaterkrise im Land zur Chefsache. Nein, man muss sagen: zur Chefinnensache.
Auf Betriebstemperatur ist Ministerpräsidentin Schwesig in diesen Tagen oft. Auch ganz ohne zu joggen. So wie sie vor einem Jahr den schwersten Kampf ihres Lebens führte, so führt sie seit Beginn der Corona-Krise den schwersten Kampf ihres Weges in der Politik.
Vor einem Jahr besiegte sie den heimtückischen Krebs. Anfang Mai vergangenen Jahres konnte Manuela Schwesig verkünden: „Ich bin wieder gesund“ – acht Monate, nachdem sie ihre Brustkrebserkrankung öffentlich gemacht hatte. Zurück kam sie mit einer Kurzhaarfrisur, die sie noch bekannter machte. Keine Zeitung, keine Illustrierte, kaum eine Talkshow ohne Schwesig. Die Ministerpräsidentin, die schon zuvor als SPD-Vizebundesvorsitzende die Stimme des Ostens war, ist seither omnipräsent.
So wie sie mit ihrer Krankheit umgegangen ist, so offen geht sie jetzt im Kampf gegen die Corona-Pandemie vor. „Ich sage, was los ist, und versuche, damit offen umzugehen. Für diesen Weg habe ich mich entschieden, weil es mir auch immer wichtig war, natürlich auch in einem öffentlichen Amt, den Bürgern reinen Wein einzuschenken.“ Fast täglich tritt sie vor Kameras und Mikrofone. Wäre Twitter nicht schon erfunden gewesen, sie hätte es erfunden. Seit wenigen Tagen hat sie eine eigene Playlist beim Musikdienst Spotify: „Manus Musik“. Ganz oben „Eye of the Tiger“. Manuela Schwesig setzt auf junge Wähler. Sie lässt sich dafür von der 19-jährigen SPD-Influencerin Lilly Blaudszun beraten.
Im Auge des Tigers – das könnte auch ihre Art der Politik beschreiben. In ihrer Staatskanzlei regiert sie mit harter Hand. In der Pandemie ist sie die eiserne Krisenmanagerin im Nordosten. Zäh. Manchmal auch gefürchtet. Der Koalitionspartner CDU zeigt sich genervt. Ihre Genossen sagen, sie sei jetzt noch fokussierter.
Angst hat sie nicht. Nicht vor der Kanzlerin. Und erst recht nicht vor dem polternden Bayern Markus Söder, der die Bund-Länder-Runden oft als Bühne benutzt. Da wirft Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin schon mal ein: „Herr Söder, man sieht, wenn Sie mit den Augen rollen.“ Als Söder im Dezember ankündigte, dass Bayern den kleinen Grenzverkehr schließe, reagierte Schwesig: „Ich habe mich sehr gewundert, dass Bayern erst jetzt diesen Schritt geht. Das ist in Mecklenburg-Vorpommern schon seit dem Frühjahrslockdown die Regel.“ An Söder arbeitet sie sich gerne ab. Es ärgert sie, dass er als der harte Pandemie-Sheriff gilt, wo sie doch in „MeckPomm“ mit harten Maßnahmen lange die Pandemie in Grenzen zwang.
Schwesig ist mit Malu Dreyer und der Kanzlerin eine von drei Frauen in der Runde. Da muss man sich durchsetzen. Und Themen aufrufen, die sonst niemand so aufruft. Als Mutter einer Tochter in der Kita und eines Sohnes auf dem Gymnasium ist Schwesig diejenige, die immer wieder gegen Schulschließungen argumentiert. „Die Infektionen kommen nicht aus der Schule“, wiederholt sie stetig.
Als es beim Bund-Länder-Gipfel im Januar mal wieder heftigen Streit um die Schulen gab, Merkel aber andererseits gegen das verpflichtende Homeoffice argumentierte, sprang Schwesig Hubertus Heil zur Seite und griff Merkel an: „Wenn man Kindern so viel abverlangt, dann kann man auch von den Arbeitgebern erwarten, dass sie Homeoffice erlauben.“ Merkel explodierte: „Ich lasse mir nicht anhängen, dass ich Kinder quäle oder Arbeitnehmerrechte missachte.“ Die Ersten sprachen danach von der Anti-Merkel.
Bei Maybrit Illner greift sie die Kanzlerin öffentlich an: „Ich bin total enttäuscht, wie das gelaufen ist. Da würde ich mir eher wünschen, dass Frau von der Leyen, Frau Merkel und Herr Spahn sagen, das ist schlecht gelaufen. Jetzt machen wir das wieder gut.“
Wenn jemand in der Krise für die SPD spricht, dann sind es Karl Lauterbach und die Ministerpräsidentin von Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist in den vergangenen Jahren der zupackende Typ von Politiker geworden, nach dem sich Parteien oft sehnen. Ihre politische Karriere gibt weitere Ämter her: Mit 29 trat die Finanzbeamtin in die SPD ein, mit 34 Jahren war sie bereits Sozialministerin, mit 39 Bundesfamilienministerin, mit 43 Ministerpräsidentin. Frank-Walter Steinmeier und Erwin Sellering waren ihre Förderer.
Schwesig ist auch bei anderen Themen nicht ängstlich. Sie steht wie vor ihr schon Sellering für eine offene Russlandpolitik und für Wirtschaftsbeziehungen zu Partnerregionen in Russland. Sie gründete mit Sellering eine Klimastiftung, um von US-Sanktionen bedrohten Firmen beim Bau der umstrittenen Erdgaspipeline Nord Stream 2 zu helfen – und steht dazu.
Politisch steht es um SPD im Nordosten, deren Landesvorsitzende Schwesig ist, vor den Landtagswahlen im Herbst viel besser als im Bund. Die Sozialdemokraten stehen nach jüngsten Umfragen bei 26 Prozent Wählerstimmen, die CDU bei 24 Prozent. Das würde im Herbst für eine Neuauflage einer großen Koalition reichen. Auch Rot-Rot-Grün wäre nach aktuellem Stand in Schwerin möglich. Die CDU muss kämpfen.
Ex-Innenminister Lorenz Caffier (CDU) nannte Schwesig einmal „Küstenbarbie“. Das würde heute niemand mehr wiederholen.