Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Bitterkalt hat sich der Mai angelassen. Es könnte einem die Frühlingslaune verderben, wären da nicht die ersten Blüten an Rhododendronbüschen in Parks, Wäldern und Vorgärten zu sehen. Sie lassen sich durch das Wetter nicht beirren.
Doch richtig genießen darf man deren Anblick neuerdings wohl nicht mehr. Denn eifrige Naturschützer haben sie nun auf ihre Streichliste gesetzt. Warum? Die Büsche böten für Insekten keine Nahrung und nähmen jenen Pflanzen, die dies täten, den Raum. Roden soll man die Rhododendren deutschlandweit. Vernichten. Mit dem Argument der bedrohten Biodiversität, so hoffen die Hardliner offenbar, würde sich die Politik ihrer Forderung schon nicht verschließen.
Was derzeit dem Rhododendron widerfährt, ist hierzulande nichts Besonderes. Immer neue Verbotsdebatten jagen durch die Republik, vielleicht, weil sich so viele Menschen durchaus ernsthaft engagieren, darunter nicht nur Natur-, Tier- und Klimaschützer. Betroffen ist derzeit neben den Rhododendren auch der Kirschlorbeer, ein „Verbrechen an der Natur“. Noch bevor diese beiden Pflanzen ganz verschwinden, wird das Nächste kommen. Morgen könnten es wieder Düngemittel und Fleisch sein oder Windräder oder das Autofahren in den Innenstädten und das innerdeutsche Fliegen. Das Herumtollen in den Dünen, das wir früher im Sommer noch durften, geht so oder so nicht mehr. An Silvester soll es keine Böllerei mehr geben. Und, und, und.
Nun ist das alles nicht neu. Mit der Forderung nach Verboten hat sich der staatsgläubige Mitteleuropäer nie besonders schwergetan. In Deutschland allemal. Es zählt nicht, dass dabei die Freiheit immer ein kleines Stückchen mehr unter die Räder gerät, sondern dass alle gleichbehandelt werden, weil Verbote nun mal von oben kommen. Genau das macht sie für jene, die sich einem Anliegen so vehement verschreiben, attraktiv. Neu ist aber, dass sich vor dem Hintergrund der – unzweifelhaften – Bedrohung der Natur durch den Menschen für jedes noch so unsinnige Ansinnen ein offenes Ohr findet. Da ist – im aktuellen Fall des Rhododendrons – offenbar auch nicht relevant, dass es unendlich viele andere Möglichkeiten gäbe, Biodiversität zu fördern.
Betrachtet man in diesem Frühling bei stürmischen Winden also die beginnende Blütenpracht in den Vorgärten der Republik, die vom Sommer kündet, ist erstmals Wehmut mit dabei. Wird es den Verbotsfetischisten gelingen, die leuchtenden Rhododendren ihren Liebhabern zu entreißen, die sie über Jahre gehegt, gepflegt und gezüchtet haben? Und während der Blick von Pflanze zu Pflanze streift, entdeckt man hier und da eine schwarze Kugel, die summt und brummt und sich in einem der weißen Kelche niederlässt. Es ist eine Hummel. Sie ist früh im Jahr unterwegs. Im Sommer werden auch die Schmetterlinge kommen.