Im Gegenlicht

Boveri-Preis 2022 für
Hannelore Schlaffer

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Im Gegenlicht

Boveri-Preis 2022 für
Hannelore Schlaffer

Einer schönen Tradition folgend verleiht David Brooks, liberal-konservativer Kolumnist der New York Times, seit bald zwei Jahrzehnten die Sidney Awards für long-form journalism, die besten Essays, Aufsätze, außergewöhnlichen Beiträge zum Zeitgeschehen, jenseits der tagesaktuellen Leitartikel und Kommentare. Der Hauptstadtbrief will, beginnend in diesem Jahr, mit der Verleihung des Boveri-Preises in transatlantischer Übersetzung an diese Tradition anknüpfen, benannt nach der so streitbaren wie vielschichtigen Journalistin Margret Boveri, deren stilbildenden Aufsätze zahlreiche Debatten in den frühen Jahren der Bundesrepublik prägten.

Der erste Preis in diesem Jahr geht an Hannelore Schlaffer. Die Stuttgarter Germanistin schreibt in der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift Leviathan über „Neue Frauen – neuer Alltag. Die kleinen Folgen einer großen Revolution“ und deutet die Veränderungen des gesellschaftlichen Lebens infolge der sich entwickelnden, wenn auch nicht etwa abgeschlossenen Gleichberechtigung der Geschlechter. Das ist kein Beitrag zur Genderdebatte, sondern eine überaus klug beobachtete und stilistisch brillante Beschreibung nur auf den ersten Blick kleiner Veränderungen unserer Sitten und Gebräuche.

Komik und Erkenntnisgewinn paaren sich dort Absatz für Absatz, etwa in Schlaffers Beschreibung des Bügeleisens, dessen Entwicklung alte Rollenaufteilungen obsolet gemacht, neue Moden geprägt und – „je perfekter es wurde, umso weniger galt die Leistung, es zu handhaben, und desto nachlässiger ging man damit um“ – die einstige „Ordnungssucht des Establishments“ bezwungen hat.

Schlaffer sieht den heute selbstverständlich Kinderwagen schiebenden Männern zu, vor 30 Jahren noch eine Seltenheit: „Es verletzt dies seine Ehre ebenso wenig wie die Mitarbeit im Haushalt, worüber in den Anfängen dieser männlichen Emanzipation seine Mutter, die an der traditionellen Aufteilung der Rechte und Aufgaben in der Familie festhalten wollte, durchaus schockiert sein konnte. Heute muss er sich vor keiner Mutter verteidigen, er muss nicht mehr Herr, er darf Mensch sein.“

Schlaffers Aufsatz lässt sich keiner einfachen politischen Richtung zuordnen, schon gar nicht lässt sie Zweifel aufkommen, dass sie Emanzipation – nur einer der gewitzten Kniffe: eben auch für Männer – entschieden befürwortet. Es sind die frappanten historischen Kontraste, anhand derer der Blick auf die Gegenwart so elegant geschärft wird, die den Essay auszeichnen. Das ist der Stoff, aus dem gewinnbringende Debatten entstehen.

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