Kolumne | Direktnachricht
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Es ist Sonntagnachmittag, da schleicht er sich schon an, um uns bis zum Abend in seine kalte Umarmung zu nehmen: der Sonntagsblues. Es ist jener Moment, in dem die Erkenntnis einsetzt, dass das Wochenende nun langsam vorbei ist und leider schon wieder nicht ansatzweise ausreichte, um wirklich erholt in die neue Woche zu starten. Immer mehr Menschen finden sich jeden Montag mit diesem Erschöpfungsgefühl an ihrem Arbeitsplatz wieder. Kaffee betäubt es nur vorübergehend, und auch das erleichterte freitägliche „TGIF!“ bringt nur kurzfristige Linderung – denn am nächsten Sonntagnachmittag beginnt alles von vorne.
Passend dazu geht gerade wieder ein Tweet durch die sozialen Medien, der proklamiert, dass wir eigentlich ein Drei-Tage-Wochenende bräuchten. Ein Tag wäre dann dafür da, um Besorgungen zu erledigen. Einer wäre dazu gedacht, etwas mit anderen Menschen zu unternehmen. Und ein Tag wäre dem Bett gewidmet, um darin liegen zu bleiben, als wären wir von irgendeiner viktorianischen Schwindsucht befallen.
Was dort humorvoll auf die Spitze getrieben wird, drückt am Ende nur das aus, was wir bereits aus diversen Studien wissen und sich unter Corona umso heftiger zeigte:
Die 40-Stunden-Woche macht uns auf Dauer krank, und das Risiko, gar an einer Herzkrankheit oder einem Schlaganfall zu sterben, steigt mit jeder Überstunde. Wer in prekären Beschäftigungsverhältnissen arbeitet und vielleicht mehr als einen Job braucht, um über die Runden zu kommen, ist ungleich schwerer davon betroffen. Menschen mit chronischen Erkrankungen brauchten außerdem nicht erst die Pandemie, um festzustellen, wie einengend und ableistisch das Normgerüst der 40-Stunden-Woche eigentlich ist. Es einzureißen, täte allen gut.
Lange Arbeitszeiten sind kein Ehrenabzeichen und eine Arbeitskultur, die sich weiter am männlichen Alleinverdiener ohne Fürsorgeaufgaben orientiert, ist lebensfern. Unser verbliebenes Bisschen Freizeit der körperlichen Selbstoptimierung zu opfern, wird uns auch nicht retten: Einem prognostizierten Kollaps lässt sich eben nicht mit leichtem Jogging entkommen.
Der Sonntagsblues war zum Beginn des neuen Jahres umso spürbarer. Die Rückkehr in den Job nach ein paar wenigen freien Tagen fiel den meisten so schwer, weil sie gleichzeitig die Rückkehr ins bereits dritte Jahr des coronabedingten Durchhaltemodus bedeutete. Am Anfang der Pandemie schimmerte ein Augenblick der Hoffnung auf, dass diese schwere Zeit wenigstens ein Möglichkeitsfenster öffnen könnte, um die gesellschaftlichen Bedürfnisse rund um Fürsorgeaufgaben, die nötige Zeit dafür und Erwerbsarbeit neu zu bewerten und anders zu priorisieren. Diese Vision wurde mittlerweile durch die ernüchternde Erkenntnis verdrängt, dass man, selbst jetzt noch, lieber die bekannte „Vor-Corona-Normalität“ wiederhaben möchte, statt schädliche Normen endgültig aufzubrechen. Auch die angeblich auf Fortschritt ausgerichteten Ziele der neuen Bundesregierung rütteln daran bislang nicht maßgeblich.
Das ändert aber nichts daran, dass die Wahrheit im Jahr 2022 weiterhin lautet: Die 40-Stunden-Woche muss sterben, damit wir leben können.