Selten war die Rolle der Ministerpräsidenten so wichtig – und so umstritten
Selten war die Rolle der Ministerpräsidenten so wichtig – und so umstritten
Es ist nicht die glücklichste Phase, die die 16 Ministerpräsidenten, die Kanzlerin und der deutsche Nachkriegsföderalismus derzeit erleben. Probleme bei Impfterminen, Schulpolitik, Ausgangssperren, Schließungen, Öffnungen – fast täglich prasselt die geballte Unzufriedenheit der Deutschen auf Landeschefs und den Bund ein. Sonnten sich Bund und Länder im Sommer 2020 noch darin, dass man gemeinsam gut durch die erste Pandemie-Welle gekommen war, so zehrt jetzt die anhaltende Krise an den Nerven. Das Murren über Fehler in Kommunen, Ländern und Bund und einen Flickenteppich an unterschiedlichen Corona-Maßnahmen setzt sich fest.
Paradoxerweise ist genau dies ein Zeichen für eine aufgewertete Rolle der Ministerpräsidenten im politischen Gefüge: Hagelte es in den vergangenen Jahren schon einmal Spott über „Merkel und ihre 16 Zwerge“, weil die Kanzlerin allzu mächtig erschien, so ist die Rollenverteilung jetzt eine ganz andere: Merkel scheint mit 16 Neben-Kanzlern und -Kanzlerinnen zu regieren – die plötzlich auch in Scharen die Talkshows bevölkern.
Nun gehören Ministerpräsidenten im föderalen Nachkriegsdeutschland schon immer zu den mächtigen politischen Akteuren. Sie wurden von den Republikgründern bewusst mit vielen Kompetenzen ausgestattet, um die Macht einer Bundesregierung zu begrenzen. Über Jahrzehnte bildeten sie die Reservegarde für das Kanzleramt. „Jeder Ministerpräsident, der ein großes Land regiert, kann auch Bundeskanzler“, verkündete Nordrhein-Westfalens Landeschef, der neue CDU-Vorsitzende Armin Laschet, erst kürzlich selbstbewusst. Früher profilierten sich etwa Helmut Kohl oder Gerhard Schröder über ihre Landesvater-Rollen für höhere Weihen.
Doch in der Ära Merkel, die nie in der Landespolitik tätig war, schien der Trend gestoppt worden zu sein – was manche Beobachter auch mit dem rauen Großstadtwind nach dem Regierungsumzug nach Berlin erklärten. Im kleinen Bonn waren die Regierungschefs kleiner Bundesländer fast automatisch wichtig. Im großen Berlin hatte man dagegen den Eindruck, als ob plötzlich ganz andere, riesige Scheinwerfer auf die Ministerpräsidenten gerichtet sind – die deshalb ganz anders ausgeleuchtet werden. In der Folge wirkten alle Ländervertreter kleiner. Eine Ausnahme bildet nur der bayerische Ministerpräsident, der in unionsgeführten Bundesregierungen als CSU-Vorsitzender und Mitglied der Koalitionsausschüsse automatisch mehr Mitsprache genießt.
Kein Wunder, dass Länderchefs in den vergangenen Jahren eher abwinkten, wenn eine Rolle in der Berliner Politik zu vergeben war. Die Fallhöhe war zu groß geworden. Als etwa der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck versuchte, für die SPD auf die Bundesebene zu springen, scheiterte er. Denn was in Mainz noch als Lokalkolorit galt, wirkte im gleißenden Licht der Berliner Polit-Scheinwerfer seltsam deplaziert. Saarlands Ministerpräsidentin Annegret Kramp-Karrenbauer wechselte als strahlende Siegerin der Landtagswahlen im äußersten Südwesten ins Amt der CDU-Generalsekretärin – schaffte aber nicht den Sprung ganz an die Spitze.
Doch zum Ende der Ära Merkel stellt sich die Frage, ob ihre Amtszeit nicht vielleicht die große Ausnahme darstellt. Denn jetzt schickt die SPD mit Finanzminister Olaf Scholz einen früheren Hamburger Ersten Bürgermeister ins Rennen um das Kanzleramt. Und in der Union wird die K-Frage mit großer Wahrscheinlichkeit zwischen den Ministerpräsidenten Nordrhein-Westfalens und Bayerns entschieden.
Das liegt auch am neuerlichen Bedeutungsgewinn: Wenn Merkel bei den Bund-Länder-Runden von zwei Landeschefs eingerahmt auftritt, wirken diese wie Aufpasser. So groß die Zustimmungswerte der Kanzlerin nach fast 16 Jahren Amtszeit auch sind: In keiner Großkrise war Merkel derart abhängig von den Länderkollegen wie in der Pandemie. In der Schulden- und Flüchtlingskrise konnte sie weitgehend allein auf europäischer und internationaler Ebene agieren – und ließ sich auch von einem bayerischen Ministerpräsidenten nicht beirren.
Bei der Corona-Krise muss sie jedoch wegen der Länderzuständigkeiten im Infektionsschutzgesetz und für die Schulen regelrecht um Zustimmung für einzelne Maßnahmen betteln. Mehrmals klagte die Kanzlerin, dass sie seit Mitte Oktober mit nur mäßigem Erfolg versucht, die Länder auf einen härteren Corona-Kurs einzuschwören. Diese schütteln wiederum den Kopf, dass man in Berlin die Realität im Lande nicht verstehe.
Wirklich genießen können die Ministerpräsidenten die derzeitige Macht aber nicht – dafür bietet die Pandemie zu viele Fallstricke auch für sie. Die 16 Landeshauptstädtler ziehen bei aller Kompetenz in den Corona-Maßnahmen ohnehin nicht mehr an einem Strang wie früher. Längst taugen die sogenannten A- und B-Runden der SPD- und Unions-geführten Länder vor Bundesratssitzungen nicht mehr für klare Vorabsprachen. In den 16 Ländern gibt es mittlerweile 14 verschiedene Koalitionsformationen. Dass Bund-Länder-Absprachen sofort wieder verwässert werden, liegt auch daran, dass die vermeintlich starken Frauen und Männer von ihren jeweiligen Koalitionspartnern zuhause schnell wieder auf Normalmaß geschrumpft werden.
Auch die Zuneigung zueinander ist übrigens begrenzt, wie Bayerns Ministerpräsident Söder vor kurzem deutlich machte. Auf dem Neujahrsempfang der CDU Nordrhein-Westfalens erzählte er, dass Laschet und er sich schon vor den Ministerpräsidenten-Treffen absprächen. In den MPK sage er dann meist nicht mehr viel. „Da reden am längsten diejenigen, die am kleinsten sind“, giftete er.