Jetzt

Kein Ausblenden, Abstumpfen oder Verschieben – die Klima- und Wasserkrise ist da. Jetzt ist die Zeit zu handeln

11
07
SHUTTERSTOCK.DE/KHAK
11
07
SHUTTERSTOCK.DE/KHAK

Jetzt

Kein Ausblenden, Abstumpfen oder Verschieben – die Klima- und Wasserkrise ist da. Jetzt ist die Zeit zu handeln

Das Wasser brennt. Daran werden wir uns gewöhnen müssen. Das „Feuerauge“ im Golf von Mexiko ist nur die neueste Katastrophe in der Chronik des brennenden Wassers. Dort hat ein Gasleck in einer Unterwasserpipeline vor einer Bohrinsel der Ölförderanlage Ku-Maloob-Zaap das Meer in Brand gesetzt. Das war Anfang dieses Monats. Anfang Juni brannte ein mit Chemikalien beladenes Container-Schiff, die „X-Press Pearl“, vor Sri Lanka und versank samt 25 Tonnen hochgiftiger Chemikalien, darunter Salpetersäure, und Mikroplastikgranulate zur Herstellung von Kosmetika. An den Stränden werden seitdem unzählige tote Fische und Meeresschildkröten angespült mit Unmengen kleiner Plastikkügelchen. Das scheint nachrichtlich bereits Vergangenheit zu sein, ist es aber nicht. Das ökologische Gedächtnis mit seinen eng verbundenen Kreisläufen und Nahrungsketten vergisst nicht.

Auch den kritischsten Köpfen hierzulande fehlt mitunter die Kraft, sich täglich aufs Neue mit der nächsten Katastrophe in der Reihe auseinanderzusetzen und die übrigen nicht zu vergessen: das Verbrennen des „grünen Wassers“ der Wälder unter den Hitzeglocken und Feuerwalzen in British Columbia, in Sibirien, in Kalifornien, auf Zypern. Das Staccato der Extreme und das serielle Entsetzen lassen den meisten von uns im Alltag nur die Wahl zwischen Ausblenden oder Abstumpfen, eine Art innere Kapitulation vor dem medialen Daueralarm. Doch ich erinnere mich noch sehr gut an das erste Mal, als ich vom brennenden Wasser hörte und meine Schulweisheit, dass Wasser nicht brennt, auf den Kopf gestellt wurde.

Leicht entflammbar

Am 10. Juni 2017 erschien auf Spiegel online ein Bericht über die Umweltsituation in Indien mit dem folgenden Absatz: „Der Bellandursee ist die apokalyptische Sehenswürdigkeit von Bangalore: Das größte Gewässer der Stadt ist so verschmutzt, dass die Chemikalien und Abfälle darin immer wieder Feuer fangen. So im Februar, dann wieder im Mai. Zwölf Stunden lang loderten die Flammen, und Rauch stieg über der Stadt auf. Indiens drittgrößte Stadt, eigentlich bekannt als Silicon Valley des Landes, macht einem neuen Namen alle Ehre: Bangalore, Stadt der brennenden Seen.“

Für mich als leidenschaftlichen Schwimmer und Wasser-Autor war das ein echter Schock. Und es beruhigte mich wenig zu erfahren, dass dieser See nur unter bestimmten Wetterbedingungen in Flammen steht. Wenn es regnet, schäumt er, und zwar nicht zu knapp. Schaummassen drängen wie aus einer kaputten Waschmaschine über die Ufer in die Stadt und verstopfen die Straßen, sodass die wichtigsten Verkehrsadern mit Palisaden und Sperrzäunen geschützt werden müssen, um befahrbar zu bleiben. Auch das ist keine Horrorstory, es ist Alltag in Bangalore.

Cruel Summers

Aber Indien ist weit weg. Und es scheint, als könnte man sich einigermaßen guten Gewissens sagen: „Das ist bei uns nicht möglich. In Deutschland gibt es Gewässerschutz, Abwasserrecht, Schadstoffkontrollen. Unser Wasser kann nicht brennen!“ Allerdings ist das nicht nur ein schwacher Trost, sondern leider auch falsch. Denn seither folgt ein Dürresommer dem anderen – und siehe da, auch hier brennen nicht nur die Wälder, sondern auch das Wasser. Es verdunstet in einem Umfang und mit einer Geschwindigkeit, dass aus dem wald- und wasserreichen Land in Mitteleuropa, das auf den meisten Karten noch als grüner Fleck erscheint, binnen kürzester Zeit ein von Dürrestreifen und Trockenrändern durchzogenes ökologisches Krisengebiet geworden ist. Vergleicht man die Luftbilder von Berlin-Brandenburg der vergangenen fünf Jahre, kann man von Sommer zu Sommer beobachten, wie die Wasserflächen schrumpfen und die Versteppung Brandenburgs voranschreitet. Auf den Punkt bringt es ein FAZ-Cartoon des vorigen Sommers, der zwei Beduinen zeigt, die sich schwitzend und mit heraushängenden Zungen durch die Wüste schleppen, wobei der eine dem anderen zuhechelt: „Noch drei Kilometer bis Potsdam!“

Für die Politik bedeutet das ein fundamentales Umdenken. Seit Jahrtausenden, von den ersten Urbarmachungen über Theodor Storms „Schimmelreiter“ bis zum Städtewachstum von heute, wird in Hochwasser- und Überflutungsszenarien gedacht. Das Zurückdrängen des Wassers, seine Beherrschung und Domestizierung sind Teil der gedanklichen DNA dieses Landes. Entwässerung und Trockenlegung gehören zur landwirtschaftlichen und städteplanerischen Praxis seit unzähligen Generationen. Die Leitungs- und Kanalsysteme sind auf hohen Wasserverbrauch und Durchfluss ausgelegt. Bis vor wenigen Jahren hat niemand ernsthaft über Strategien des Haltens und Haushaltens mit Wasser nachgedacht. Die dringend erforderliche Wasserwende trifft die meisten Länder und Kommunen völlig unvorbereitet. Doch ihre Zukunft wird genau davon abhängen. Wir haben nicht nur ein CO2-Problem, wir haben ein mindestens ebenso großes H2O-Problem.

Abschied von Idyllen

Der Wasserbrand ist anders als viele andere Kennziffern des Klimawandels keine abstrakte, rein wissenschaftlich messbare Größe. Er findet konkret statt, hier und heute vor unseren Augen. Und er beeinflusst unser Leben unmittelbar. Immer häufiger muss die Binnenschifffahrt wegen Niedrigpegelständen aussetzen, muss die Entnahme von Oberflächenwasser zum Rasensprengen oder Bewässern von Feldern verboten werden (nicht zuletzt zwecks Vorhaltung von Löschwasser). Die Kinder im Planschbecken und der Familienvater beim Autowaschen – diese idyllischen deutschen Sonntagsbeschäftigungen gehören der Vergangenheit an. Indirekte und direkte Wasserrationierungen sind nicht nur eine Frage der Zeit, sondern in manchen Gegenden schon Realität.

Während die Seen in Brandenburg Sommer für Sommer weiter austrocknen und verlanden, nimmt der Stress für das immer weniger werdende Wasser zu. Jede Kippe in der Havel, jeder E-Roller in der Spree ist ein weiterer gedankenloser Schritt auf dem Weg der Wasservernichtung. (Aus dem Rhein wurden kürzlich 500 dieser rollenden Batterien gezogen – die versenkten Fahrräder aus der Zeit vor der sogenannten Verkehrswende waren umweltfreundlicher.) Die zunehmende Wasserknappheit ist weder in unserem Konsumverhalten noch im gesetzlichen Regelwerk eingepreist. Die Grenzwerte für Abwasser und landwirtschaftliche Nitrat- und Phosphat-Einträge sind für Wassermengen und Kreisläufe dimensioniert, die so kaum noch gegeben sind. Die Konzentration im Restwasser steigt ebenso wie die Wassertemperatur. Ein Teufelskreis: Denn je wärmer das Wasser, desto geringer sein Sauerstoffgehalt. Somit ist die Erderwärmung auch eine Wassererwärmung und Sauerstoffreduktion, die das Leben und den Artenreichtum im Wasser bedroht.

Haus am See, Müll am See

Davon merkt auch der Hauptstädter etwas, wenn er im Sommer die Badehose einpackt und an den See fährt. Das Wasser ist zwar „schön warm“, aber auch ziemlich tot. Und bevor er den Ölfilm aus Sonnenmilch am Badestrand durchschwimmt, sollte er sich vergewissern, dass in der nährstoffübersättigten, warmen Brühe nicht schon die Blaualgen blühen. Auch der gelegentliche Starkregen macht die Sache nicht besser, im Gegenteil. Die massiven Niederschläge können vom Boden nicht aufgenommen werden und schwemmen nur noch mehr Nährstoffe in die Flüsse und Seen, nebst Zigarettenkippen, Exkrementen und Müll, was die Verschmutzung und Verlandung weiter beschleunigt. Der Regen – in der extremen Form, die er in den letzten Jahren angenommen hat – ist nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems.

In der allgemeinen Fixierung auf das Ziel der CO2-Neutralität sollten wir uns fragen: Was nützen sämtliche Klimamaßnahmen, wenn wir der nächsten Generation verbranntes Wasser hinterlassen?

Anglerunglück

Es sind sehr traurige und wütend machende Zeiten für all jene, die das Wasser lieben. Trotzdem kann ich es auf meinem mehr oder weniger täglichen Weg am Einsteinufer entlang nicht lassen, mit Anglerblick nach den Fischen im Landwehrkanal Ausschau zu halten. Es gibt sie – das ist die gute Nachricht und keine Selbstverständlichkeit für einen von der Spree gespeisten Abwasserkanal, der mitten durch die Hauptstadt fließt.

Nun liegen die Jahre, in denen ich mit einer Angel in der Hand die Ufer meiner Heimatflüsse auf und ab gestiefelt bin, lange zurück. Doch noch immer habe ich den Ehrgeiz herauszufinden, wo die Fische stehen. Nie werde ich vergessen, wie es früher war, abends am Wasser in der blauen Stunde, kurz vor Einbruch der Dunkelheit, wenn die Fliegen und Mücken auf der Wasseroberfläche tanzten und alles Leben im Fluss sich plötzlich erhob. Es war der Moment, in dem ich immer die Angel beiseite gelegt habe, um den Forellen beim Steigen zuzusehen, ihren schmetternden Flossenschlägen und den Wasserringen, die sie hinterließen beim Wiedereintauchen in den Strom. Es sind – aus Gründen, die ich selber nicht verstehe – die schönsten Erinnerungen meiner Kindheit.

EG-Verordnungen

Zu meiner großen Überraschung höre ich am Montagmorgen dieser Woche dasselbe peitschende Geräusch: Schon beim Einbiegen auf den Uferweg erkenne ich das Schnalzen der Flossenschläge über dem Fluss. Das kann eigentlich nicht sein. Um diese Zeit, in diesem Wasser springen keine Fische, erst recht nicht so viele – es sind mindestens drei oder vier, die über die Oberfläche flippern, zwei kleinere Barsche und ein größerer. Vielleicht ist sogar ein Hecht dabei. Dann im Näherkommen sehe ich, dass etwas ganz und gar nicht stimmt: Es sind nicht die ersten Fische, die steigen, sondern die letzten. In der gemächlichen Strömung des Landwehrkanals treiben lauter tote Karpfen und Brassen, stattliche Tiere, die meisten konvulsivisch verkrümmt und gewunden mit abgespreizten Flossen, einige wenige in friedlicher Resignation erschlafft, die weißen Bäuche nach oben. Bleich und gedunsen treiben sie zwischen Blätterschatten und Wolkenspiegelungen dahin.

Ich laufe ein paarmal das Ufer auf und ab, entdecke einen Mann vom Grünflächenamt und spreche ihn an. Er zuckt berlinerisch die Achseln und erklärt mir, dass er für den Rasen zuständig ist, nicht fürs Wasser. Eine Joggerin bleibt kurz stehen, starrt eine Weile, läuft weiter. Eine Studentin tritt ganz nah ans Ufer und macht Fotos mit ihrem Handy. Ich warte, bis sie fertig ist, dann tue ich es ihr gleich. Es treiben immer mehr Fischleichen heran, Rotfedern und ein unterarmgroßer Hecht, tatsächlich. Einige verfangen sich in den Ästen und Zweigen, die ins Wasser ragen. Es ist ein schöner, sonniger Montagmorgen. Vor kaum einer Woche ist hier an dieser Stelle noch jemand durch die Stadt geschwommen.

Wasser wie Asche

Ratlos laufe ich weiter hin und her und nehme zum ersten Mal bewusst eine Schrifttafel wahr, an der ich seit Jahr und Tag achtlos vorbeigelaufen bin. Auf ihr steht: „Nach der EG-Wasserrahmenrichtlinie soll im nächsten Jahrzehnt ein guter ökologischer Zustand der Gewässer erreicht werden.“ Da es „EG“ und nicht „EU“ heißt, handelt es sich offenbar um eine ältere Tafel, das besagte Jahrzehnt müsste schon länger vorbei sein. Schwarz auf Weiß wird dann sehr korrekt beschrieben, dass es bei starkem Regen und hohen Temperaturen durch den Eintrag von Nähr- und Schadstoffen zu vermehrtem Algen- und Wasserpflanzenwachstum kommt. „Durch den angekurbelten Stoffwechsel kann der Sauerstoff im Wasser vorübergehend knapp werden“, heißt es weiter in wissenschaftlicher Gemütsruhe. Mit anderen Worten: Die Fische ersticken im Wasser. Sie springen nicht, um nach Mücken oder Fliegen zu schnappen, sondern weil sie in ihrem Element keinen Sauerstoff mehr bekommen. Auch das ist eine Art, wie das Wasser brennt: Wasser ohne Sauerstoff, Wasser wie Asche.

Ich lese den Text ein paarmal, unkonzentriert angesichts des Fischsterbens, das keine drei Meter entfernt im Wasser stattfindet, und weil ich mich frage, welche Schautafeln wir demnächst noch aufstellen werden: dass es bei Wäldern aufgrund der Trockenheit zu Bränden kommen kann, bei denen die dort heimischen Tiere vorübergehend mitverbrennen, oder dass die Felder, auf denen mal etwas gewachsen ist, vorübergehend erodieren? Aber ich will dieser Tafel nicht Unrecht tun, schließlich hat sie das Sterben nicht verursacht, sie versucht nur, es zu erklären.

Sie endet übrigens mit dem Satz: „Der Klimawandel und die geringe Wassermenge in der Spree sind ein Problem für die nächsten Jahrzehnte.“ Das ist eine sehr richtige Feststellung, in der Tat. Denn mit einem Mal wird mir klar, was hier eigentlich schiefläuft. Die toten Fische im Landwehrkanal haben einen verheerenden Fehler gemacht: Sie haben nicht lange genug auf die Politik gewartet.

Weitere Artikel dieser Ausgabe