Kandidatenkarussell

Editorial des Verlegers

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Kandidatenkarussell

Editorial des Verlegers

Liebe Leserinnen und Leser,

Frank Decker, der renommierte Politikwissenschaftler von der Universität Bonn, nimmt in diesem Hauptstadtbrief am Samstag eine im besten Sinne abgewogene Analyse der Folgen der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen vor. Nachdem sich die SPD bereits auf Olaf Scholz als Spitzenkandidaten für die Bundestagswahlen im Herbst in einem Jahr festgelegt hat, bleibt es vor allem in der Union spannend. Hat Armin Laschet, Ministerpräsident und Kandidat für Parteivorsitz und Kanzlerkandidatur, nun Aufwind erhalten oder sprechen die leichten Verluste eher gegen ihn? Verheddern sich die Grünen, da sie, mit zwei populären Vorsitzenden ausgestattet, sich nicht auf Annalena Baerbock oder Robert Habeck einigen können? Oder müssen sie sich gar nicht für eine Person an der Spitze entscheiden – zumal an ihnen als Koalitionspartner kaum ein Weg vorbeigehen sollte, wenn es nicht zur erneuten GroKo kommen soll? Dankenswerterweise verzichtet Decker auf allzu laute Thesen und sondiert stattdessen souverän das politische Terrain.

Im zweiten Beitrag wirft Wolfgang Engler einen Blick voraus auf den 3. Oktober, den 30. Jahrestag der deutschen Einheit. Zugleich ist es ein Blick in die Vergangenheit, nicht der DDR, sondern deren Nachwehen in den Köpfen – in Ost und West. Der Soziologe Engler, lange Jahre Rektor der ehrwürdigen Berliner Schauspielschule Ernst Busch, ist ohne Zweifel einer der führenden Intellektuellen des Landes. Seine Bücher, darunter der anregende Gesprächsband mit Jana Hensel „Wer wir sind. Die Erfahrung, ostdeutsch zu sein“ aus dem Jahr 2018, insbesondere aber sein opus magnum „Bürger, ohne Arbeit. Für eine radikale Neugestaltung der Gesellschaft“ (beide im Aufbau Verlag erschienen), gehören zur Pflichtlektüre für alle, die an den intellektuellen Debatten dieses Landes teilhaben möchten.

Im Hauptstadtbrief beschreibt er mit unbestechlichem Blick, wie die „rapide um sich greifende sozialökonomische Demobilisierung der Ostdeutschen“ ein Unglück war, das sich nicht hätte ereignen dürfen und „dessen Langzeitfolgen nun das ganze Land betreffen.“

Der so kluge wie berühmt gewordene Appell Wolfgang Thierses, dass wir uns in Ost und West unsere Biografien erzählen sollte, ist zu erweitern. Wir müssen uns auch noch sehr viel stärker bewusst werden, was sich in den vergangen drei Jahrzehnten nach der Wende ereignet hat.

Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen

Ihr Detlef Prinz

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