Kanzlerwahlverein 2.0

Mit wem werden die Grünen nach der Bundestagswahl regieren?

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PICTURE ALLIANCE/KAY NIETFELD/DPA
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Kanzlerwahlverein 2.0

Mit wem werden die Grünen nach der Bundestagswahl regieren?

2021 steht der Bundesrepublik die spannendste Wahlauseinandersetzung seit 2005 bevor. Nicht nur, dass ein Jahr vor der Wahl noch völlig offen ist, wer Angela Merkel nach 16 Jahren im Kanzleramt beerbt. Auch der Anspruch von CDU und CSU auf die Regierungsführung ist keineswegs garantiert. Orientiert man sich an den derzeitigen Umfragen und schließt man die Fortsetzung der bisherigen Koalition als unrealistisch aus, bleiben als rechnerisch mögliche und politisch gangbare Bündnisse Schwarz-Grün, Jamaika, die Ampel oder Rot-Rot-Grün. Das Einzige, was sich verlässlich prognostizieren lässt, ist mithin eine Regierungsbeteiligung der Grünen.

Hatte es 2013 bereits Sondierungen zwischen Union und Grünen gegeben, so wurde das fast sicher geglaubte Jamaika-Bündnis vier Jahre später von der FDP kurz vor Toresschluss zu Fall gebracht. Dass eine Rückkehr der Grünen in die Regierung nach zwölf Jahren eigentlich angezeigt gewesen wäre, beweist die seither eingetretene Entwicklung in den Ländern, wo sie die Zahl ihrer Regierungsbeteiligungen kontinuierlich auf mittlerweile elf hochschrauben konnten. In Baden-Württemberg stellen sie seit 2011 sogar den Ministerpräsidenten.

Diese geballte Stärke ist nicht primär den Wahlergebnissen der Grünen geschuldet, sondern stellt eine Folge ihrer koalitionspolitischen Öffnung in Richtung Union und FDP seit Mitte der 2000er-Jahre dar. Die Grünen nehmen damit im heutigen Parteiensystem dieselbe Scharnierfunktion zwischen den linken und „bürgerlichen“ Parteien ein, die bis zu Beginn der 1980er-Jahre die FDP ausgeübt hatte. Auf der Länderebene koalieren sie zurzeit achtmal mit der SPD, sechsmal mit der CDU, dreimal mit der Linken und zweimal mit der FDP.

Vor diesem Hintergrund scheint es verständlich, wenn sich die Grünen zum Hauptgegner jedweder „Ausschließeritis“ stilisieren – der Begriff geht nicht von ungefähr auf einen ihrer erfolgreichsten Landespolitiker, den Hessen Tarek Al-Wazir, zurück. „Ausschließeritis“ meint aber etwas anderes als die Vermeidung koalitionspolitischer Festlegungen vor einer Wahl. Diese mag zwar aus strategischen Gründen geboten sein, um Teile der Parteibasis und Wählerschaft nicht zu verprellen. Sie verbietet sich jedoch aus demokratischer Sicht. Denn der „Souverän“ hat ein Recht zu erfahren, ob er mit einer Stimme für die Grünen eher Olaf Scholz oder dem noch zu kürenden Kandidaten der Unionsparteien zur Kanzlerschaft verhelfen würde.

Seit der frühzeitigen Nominierung von Scholz zum SPD-Kanzlerkandidaten wird über die Möglichkeit einer rot-rot-grünen Koalition munter spekuliert. Dass sich deren Vorzeichen arithmetisch verbessert haben, hängt nicht zuletzt mit dem Höhenflug der Grünen zusammen, denen es seit 2018 gelungen ist, immer stärkere Schneisen in das Unionswählerlager zu schlagen. Ursächlich dafür waren und sind zum einen der von den Fridays-for-Future-Protesten begleitete Aufstieg des Klimaschutzes zum wichtigsten innenpolitischen Thema, zum anderen die überzeugende Neuaufstellung an der Parteispitze mit Robert Habeck und Annalena Baerbock sowie der Oppositionseffekt aufgrund der miserablen „Performance“ der Regierungsparteien.

Mit der Coronakrise haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben. Während die trotz neuer Parteispitze weiter unter ihrem Führungsvakuum leidende SPD stagniert, ist die Union in den Umfragen regelrecht nach oben katapultiert worden. Die Grünen verlieren unterdessen an Zustimmung, behaupten sich aber vor der SPD als zweite Kraft. Was folgt daraus für das Wahljahr? Zumindest was SPD und Union betrifft, ist zweifelhaft, ob die Werte mehr als nur eine Momentaufnahme darstellen. Kann sich die SPD mit Scholz Hoffnung machen, wieder an Boden zu gewinnen, so bleiben die Folgen des Abgangs von Angela Merkel für CDU und CSU unabsehbar. Darüber hinaus ist nicht auszuschließen, dass sich die politische Agenda im Wahljahr coronabedingt verschiebt und Verteilungsfragen an Bedeutung gewinnen. Auch das Klimaschutzthema dürfte trotz oder vielleicht sogar wegen der Krise seine Relevanz behalten.

Wem würden die Grünen, wenn sie die Wahl hätten, als Regierungspartner den Vorzug geben? Habeck und Baerbock werden Sympathien für ein schwarz-grünes Bündnis unterstellt. Machtstrategisch ist das nachvollziehbar, wäre es doch die weniger riskante Option. An der Seite der Union könnten sich die Grünen als dynamischer Teil der Regierung inszenieren. Gleichzeitig bräuchte ihre überwiegend gut situierte Wählerklientel nicht zu fürchten, dass die Veränderungen – etwa beim ökologischen Strukturwandel – zu weit gehen. Schwarz-Grün ist allerdings kein Selbstläufer. Dagegen stehen große Teile der Parteibasis und grünen Wählerschaft. Tatsächlich sind die inhaltlichen Gemeinsamkeiten der Grünen mit SPD und Linken beim Klimaschutz und den damit verknüpften sozialen Fragen breiter als mit der Union. Dasselbe gilt für die Flüchtlingspolitik. Als schwerster Stolperstein dürfte sich die Außenpolitik erweisen, wo besonders zur Linken kaum überbrückbare Meinungsunterschiede bestehen.

Anders als an der Seite der Union hätten die Grünen in einem rot-rot-grünen Bündnis zudem die Chance, selbst den Kanzler oder die Kanzlerin zu stellen. Würden sie sich stattdessen mit der Rolle des Juniorpartners begnügen? Auch wenn sie hinter der SPD nur auf Platz zwei landen, könnte es von Seiten der Koalitionspartner und aus den eigenen Reihen Druck geben, sich der Bildung einer Regierung ohne die Union allein aus Gründen des demokratischen Wechsels nicht zu verweigern.

Bleibt die leidige Frage nach der Kanzlerkandidatur. Nach der Parteilogik der Grünen müsste Habeck der Ko-Vorsitzenden Baerbock eigentlich den Vortritt lassen. Ausschlaggebend dürfte am Ende aber eher die Wählerlogik sein, also wer bei der Bundestagswahl das größere Zugpferd wäre. Dort spricht im Moment noch mehr für Habeck. Anders als die SPD sind die Grünen gut beraten, die Personalie so lange offen zu lassen, wie die Umfragen sie in der Nähe oder über der 20-Prozent-Marke verorten. Weil die Wahl zwischen Habeck und Baerbock keine parteiinterne Richtungsentscheidung darstellt, sollte ihnen das nicht allzu schwerfallen.

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