Kein Platz für alte Träume

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

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Kein Platz für alte Träume

Kolumne | Aus dem Bannaskreis

Frank-Walter Steinmeier ist die Negation der Sichtweise, der Bundespräsident habe sein Amt übers Reden auszuüben, was zwar unpolitisch, aber in Wissenschaft und Medien weit verbreitet ist. Nach dem Abbruch der Jamaika-Gespräche 2017 durch die FDP sorgte er dafür, dass es nicht zu „Neuwahlen“ kam, sondern eine Regierung gebildet wurde. So verhinderte er, als es ernst wurde, eine Systemkrise der Demokratie. Sein Bekenntnis, als Außenminister die Absichten Wladimir Putins falsch eingeschätzt zu haben, war mehr als Rhetorik. Steinmeier machte sich ehrlich – namens einer ganzen Politikergeneration und anders als etwa Angela Merkel. Doch seine Kritiker wollten ihn nicht freisprechen, was so weit ging, dass sie ihm Feigheit vorwarfen, als er – nach Interventionen der Sicherheitsbehörden – eine Reise nach Kyiv verschob. Kurzfristig, wie sich erwies. Doch bei Twitter hat Steinmeier keine Freunde, und die Bösartigkeiten dort schwappen hinein in den herkömmlichen Journalismus und damit in die Untiefen des politischen Betriebs.

Die Erinnerung an vermeintlich „große Reden“ von Bundespräsidenten führt in die Irre. Ganz oben natürlich die Ansprache Richard von Weizsäckers 1985, als er anlässlich des 40. Jahrestages des Endes des Zweiten Weltkrieges den 8. Mai 1945 als einen „Tag der Befreiung“ bezeichnete. Weizsäckers Bedeutung aber beruhte auf der Rolle als Antipode Helmut Kohls, so wie Theodor Heuss („Papa Heuss“) in der Nachkriegszeit das Gegenstück zu Konrad Adenauer war. Von Roman Herzog blieb nicht viel mehr als die „Ruck-Rede“ zurück.

Doch hoch hängt die Latte, und nur der im Predigen gestählte Joachim Gauck konnte davor bestehen. Aber Steinmeier? Manche Kommentatoren hatten sich, Theaterkritikern gleich, vorgenommen, Steinmeiers Ansprachen allein unter Maßstäben der Rhetorik, ansonsten aber inhaltsfrei bewerten: Hölzern, langweilig, überraschungsfrei. Dabei hatte es Steinmeiers Rede in der vergangenen Woche in sich. „Wenn wir auf das Russland von heute schauen, dann ist kein Platz für alte Träume. Unsere Länder stehen heute gegeneinander.“ Und: „Im Angesicht des Bösen reicht guter Wille nicht aus.“ Und: „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen.“ Steinmeiers Text ist voll von Mahnungen, die es wert sind, beherzigt zu werden. Darauf kommt es an – oder?

Dreist war es, dass von der Bundesregierung niemand unter den Zuhörern war. Nicht der Kanzler, nicht ein Minister. Doch kennzeichnet das einen Umstand, den es oft gegeben hatte. Kanzler halten Präsidenten auf Distanz. Sie bewegen sich in unterschiedlichen Sphären – jene parteiisch, diese überparteilich. Sie konkurrieren um Aufmerksamkeit und Ansehen. Je auf ihre Weise haben sie eine Richtlinienkompetenz. Horst Köhlers Rücktritt hatte auch damit zu tun, dass er sich von Merkel missachtet fühlte. Hinzu kommt: Eine zweite Wahlperiode von Bundespräsidenten war stets die weniger glückliche. Beliebtheit nutzt sich ab. Nun macht Steinmeier diese Erfahrung. Doch nichts wäre besser geworden, hätte er darauf verzichtet und das Amt den Verhandlungen der Ampelparteien überlassen. Das Wort „Geschacher“ lag schon parat.

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