Klagelieder

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

11
02
11
02

Klagelieder

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

In der amerikanischen Hauptstadt hat sich Anfang der Woche Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Robert Habeck blicken lassen, gemeinsam mit seinem französischen Kollegen Bruno Le Maire, um vor allem eines zu diskutieren: den IRA, jenen Inflation Reduction Act, hinter dessen Namen sich ein 370 Milliarden Dollar schweres Förderpaket zum Klimaschutz verbirgt, das unverkennbar industriepolitische Züge trägt. Logisch und taktisch ist das Paket aus innenpolitischer Sicht recht klug geschnürt, weil es zweierlei verbindet: den Klimaschutz einerseits, den sich seit jeher eher die Demokraten als die Republikaner auf die Fahnen schreiben, und eine America-First-Politik, die zumindest in ihrer intensivierten Beschwörung eine Erfindung der Republikaner aus der Trump-Ära ist.

Das Geschrei in Europa ließ nicht lange auf sich warten. Anstatt Erleichterung darüber zu demonstrieren, dass sich die Vereinigten Staaten endlich (!) nicht nur verbal zum Klimaschutz bekennen, sondern in erheblichem Ausmaß Steuergelder investieren, um die Klimabilanz ernsthaft zu verbessern, setzte in Europa und vor allem in Deutschland das große Lamento ein. Dabei befindet sich die Wirtschaft mal wieder an vorderster Stelle. Sie befürchtet heftige Wettbewerbs­verzerrungen, weil die amerikanischen Subventions­maßnahmen nicht nur an die Klimatauglichkeit, sondern vielfach auch an die Verwendung originär amerikanischer Produkte geknüpft sind. Angeblich stehen Europa und die Vereinigten Staaten ausgerechnet in Sachen Klimaschutz sogar vor einem Handelskrieg. Das soll jetzt Robert Habeck in der amerikanischen Hauptstadt richten.

Klageführer ist – mal wieder – die deutsche Industrie. Sie interpretiert den IRA als direkten Angriff auf den Standort Deutschland und befürchtet schwere Wettbewerbsnachteile.

Das Gezeter der deutschen Wirtschaft ist allerdings nicht neu. Seit Jahren agiert sie so, bestens positioniert durch Heerschafen an Lobbyisten, die mal laut, mal leise ihre Interessen gegenüber der Politik vertreten – hierzulande kommen fast 40 Lobbyisten auf jeden einzelnen Abgeordneten. Das System hat sich seit Jahren bewährt. Der Wirtschaftsminister lässt sich traditionell gut vor den Karren spannen. So auch diesmal. Unlängst hat der DIHK in einer Studie wieder einmal den Untergang an die Wand gemalt: Unternehmen verlören das Vertrauen in den Staat, Standortvorteile gingen verloren. Vorher hatte die Wirtschaft lauthals über Lieferengpässe und Materialmangel geklagt und natürlich auch versucht, für die gestiegenen Energiepreise möglichst hohe Entlastungen vom Bund zu organisieren. Mit Erfolg.

Als allerdings im vergangenen Jahr Bundeskanzler Scholz – zum Entsetzen vor allem europäischer Nachbarstaaten und Handelspartner – ein Entlastungspaket von 200 Milliarden Euro wider die drastisch gestiegenen Energiepreise auf den Weg brachte, hat kein Unternehmen oder Industrieverband darauf hingewiesen, dass dies innerhalb Europas womöglich eine ähnlich wettbewerbsverzerrende Wirkung haben könnte wie angeblich der IRA.

Hinter der Aufregung über das amerikanische Vorhaben steht allerdings noch etwas ganz anderes: Das Gesetz ist ein höchst unangenehmer Weckruf, der deswegen so heftige Reaktionen hervorruft, weil in Deutschland mit seiner verheerenden CO2-Bilanz von Politik und Wirtschaft viel über Klimaschutz viel geredet, aber zu seiner Verbesserung nicht ernsthaft gehandelt wird.

Weitere Artikel dieser Ausgabe