Editorial des Verlegers
Editorial des Verlegers
Liebe Leserinnen und Leser,
es ist ein politischer wie publizistischer Klassiker: Bei schwierigen Fragen wird erst einmal eine breite gesellschaftliche Debatte gefordert. Und doch schließe auch ich mich heute diesem Aufruf an: Wir müssen über die Ausrichtung der deutschen Außenpolitik diskutieren – über unser Verhältnis zu Russland, zu den USA, zu China. Denn in diesem Punkt ist Henning Hoffs Analyse in seinem brisanten und aufrüttelnden Beitrag für diesen Hauptstadtbrief am Samstag kaum zu bestreiten: „Schaut man genauer hin, hat Deutschland gar keine Russlandpolitik mehr. Es gibt nur noch Versatzstücke, die kaum noch zusammenhängen beziehungsweise sich widersprechen.“ Ähnliches lässt sich auch für die USA und China sagen. Hoff, Editor-at-Large der Zeitschrift Internationale Politik, die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) herausgegeben wird, legt mit aller gebotenen Schärfe die außenpolitischen Leerstellen Berlins offen. Ja, diese Debatte muss das Kanzleramt, müssen die Experten am Werderschen Markt und die strategischen Denkerinnen und Denker in den Think Tanks, müssen wir alle – und wollen wir auch im Hauptstadtbrief – in Zukunft noch ausführlicher führen.
Ein Mangel an Meinungsäußerungen gibt es im Falle der sogenannten „Identitätspolitik“ in Deutschland, den USA, ja eigentlich auf der ganzen Welt gerade nicht. Umso mehr habe ich den so erfrischend sachlichen wie klugen Beitrag von Hans Vorländer für diesen Hauptstadtbrief gelesen. Vorländer ist Direktor am Zentrum für Verfassungs- und Demokratieforschung und Professor für Politische Theorie und Ideengeschichte an der Technischen Universität Dresden. Er skizziert die politisch-historische Entstehungsgeschichte der Identitätspolitik, leistet soziologische Aufklärung im besten Sinne. Sein nüchternes Fazit: „Nach der Entzauberung der großen, aus der Epoche von Aufklärung und demokratischer Revolution stammenden Erzählungen von Fortschritt, Vernunft und Gerechtigkeit macht sich ein gruppenbezogener Identitätsdiskurs breit, der in seiner Selbstbezüglichkeit Gesellschaften spaltet, es aber an einer Perspektive auf das Allgemeine fehlen lässt.“ Und so stehen „Demokratien vor erheblichen Herausforderungen, wollen und müssen sie doch gegenwärtig den Versuchungen autoritärer und autokratischer Mächte widerstehen.“
Noch so ein Klassiker, leider ebenso zutreffend: Es dürfte ein politisch heißer Herbst werden.
Mit herzlichen Grüßen verbleibe ich – bis morgen
Ihr Detlef Prinz