Koste es, was es wolle

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

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Koste es, was es wolle

Kolumne | Auf den Zweiten Blick

In diesem Monat wird die Europäische Notenbank die Zinsen erhöhen – erstmals seit elf Jahren. Inzwischen hat sie auch die milliarden­schweren Anleihekäufe eingestellt, über die sie in der vergangenen Dekade Unsummen in den Markt hat fließen lassen. Die ungewohnt hohen Inflationsraten zwingen sie ebenso zum Handeln wie das beherzte Vorgehen der amerikanischen Notenbank oder der Schweizer Schwesterinstitution.

Was mit der Finanzkrise von 2008, der Staatsschuldenkrise und schließlich der Pandemie als Notfallmodus gerechtfertigt wurde, war zum Dauerzustand geworden, zu einer merkwürdigen Normalität ohne Zins und damit ohne die zentrale Steuerungsgröße einer Marktwirtschaft, die der Zins nun einmal ist. Mit den bevorstehenden Zinserhöhungen ist diese Phase – endlich – Geschichte.

An den Aktien- und Immobilienmärkten mag man Zinserhöhungen nicht. So ist die Verunsicherung derzeit groß und die EZB nicht zu beneiden. Es besteht die Gefahr, dass sie mit ihren geplanten Zinsschritten eine neue Staatsschuldenkrise in Gang setzt, zumindest eine in der Südhälfte der Währungsunion. Könnte es also sein, dass wir in den nächsten Jahren nur noch spärliche Renditen sehen?

Hinter dem großen Unbehagen der Märkte ob einer Zinserhöhung, die eigentlich nichts anderes als die längst überfällige Rückkehr zu vernünftigen volkswirtschaftlichen Verhältnissen ist, verbirgt sich deutlich mehr als nur die Sorge um die sinkende Attraktivität bestimmter Anlageklassen oder die Entstehung einer neuen Krise. Die Marktteilnehmer müssen diesen Schritt vielmehr als endgültige Rücknahme einer nie dagewesenen geldpolitischen Zusage deuten, die sie seit zehn Jahren in Sicherheit gewogen hat.

Am 26. Juli 2012 hielt der damalige EZB-Präsident Mario Draghi auf dem Höhepunkt der Staatsschuldenkrise eine bemerkenswerte Rede, die die Risikoverhältnisse an den Kapitalmärkten auf den Kopf stellten: „Within our mandate, the ECB is ready to do ‚whatever it takes‘ to preserve the Euro. And believe me, it will be enough.” Mit anderen Worten: Die EZB versicherte den Marktteilnehmern ihre Bereitschaft, den Zusammenhalt der Eurozone zu garantieren, koste es, was es wolle.

Bedingungslos verbürgte sie sich damit für die Stabilität an den Finanzmärkten und machte mit dieser Risikoübernahme die Rallye der Folgejahre überhaupt erst möglich. Im Fachjargon würde man so etwas einen Zentralbank-Put nennen, in Anlehnung an den „Greenspan-Put“, eine seinerzeit durch Studien bestätigte Vermutung, dass die amerikanische Zentralbank unter ihrem Präsidenten Alan Greenspan in Phasen schwacher Aktienmärkte die Kurse immer wieder heimlich stütze. Als „Puts“ werden in der Regel Termingeschäfte bezeichnet, mit denen sich die Marktteilnehmer gegen Kursverluste absichern. Draghi ging da offenkundiger zu Werke: „Whatever it takes“ – mit diesen Worten nahm er das Marktrisiko kurzerhand in die Bücher der Zentralbank.

Die eigentliche Wucht der nun angekündigten Zinswende liegt genau dort: in der Rückgabe des Risikos an die Märkte. Die Aufkündigung dieser zehn Jahre währenden Versicherungszusage ist schmerzhaft und doch überfällig – nicht aufgrund der verstörend hohen Inflation, sondern weil Volkswirtschaften ohne die Signalfunktion des Zinses langfristig nicht effizient funktionieren können.

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