Let the games not begin

Was sind ein Fußballfest und Olympische Spiele wert, bei dem nicht gefeiert werden kann?

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Der Sommer (und die Spiele) werden gut…“, sagt Carolin Kebekus. „… aber mit Einschränkungen“, gibt Karl Lauterbach zu bedenken.
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Der Sommer (und die Spiele) werden gut…“, sagt Carolin Kebekus. „… aber mit Einschränkungen“, gibt Karl Lauterbach zu bedenken.

Let the games not begin

Was sind ein Fußballfest und Olympische Spiele wert, bei dem nicht gefeiert werden kann?

Dass sich der Chef-Epidemiologe der Weltgesundheitsorganisation (WHO) jetzt auch noch mit Fußball beschäftigen muss, ist eine der Anekdoten dieser Pandemie, die dann doch einiges über diese vergangenen eineinhalb Corona-Jahre aussagt.

Es war vergangenen Montag, wöchentliche Covid-19-Pressekonferenz des WHO-Generalsekretärs und seines Führungsstabes in Genf. Da fragt ein online zugeschalteter Journalist aus Brasilien, was die UN-Organisation denn davon halte, dass dieses Wochenende in Brasilien der Copa América beginnen werde, obgleich in fast ganz Südamerika das Virus tobt und mutiert? In Argentinien sind viele froh, dass sie den Fußball-Wettbewerb nicht mehr ausrichten, wie zwischenzeitlich geplant. Jetzt also Brasilien, das Land, dessen populistisch-rechtsnationale Führung am allerschlechtesten auf dem südamerikanischen Kontinent mit der Pandemie umzugehen weiß.

Die WHO sei nicht in der Lage, „solche Entscheidungen im Namen dieser Länder oder Organisationskomitees zu treffen“, antwortet Michael Ryan, der Direktor der WHO-Notfallprogramme. „Wir beraten Massenveranstaltungen, die das wünschen, einschließlich religiöser Versammlungen und Sportveranstaltungen, bei der Risikobewertung.“ Es klingt nicht so, als ob irgendjemand aus Brasilien die Experten tatsächlich auch gefragt hat. Derlei Veranstaltungen „erfordern ein hohes Maß an Planung. Sie erfordern eine umfangreiche Risikobewertung und ein umfangreiches Risikomanagement mit dem Verständnis, dass das Risiko wirklich auf null reduziert werden kann.“ Auf null.

Neben dem Fußballwettbewerb im Hochrisikoland Brasilien starten nun in Europa die Fußball-Europameisterschaft mit einem Jahr Verspätung und bald in Japan, wie es aussieht, die Olympischen Sommerspiele. Mag sein, dass sich hier wie dort das Risiko von lokalen Virus-Ausbrüchen minimieren lassen wird. Mit Tests, Zugangsberechtigungen für Geimpfte und Covid-19-Genesene.

Auf null wird es sicherlich nicht gedrückt werden können. Ist es also sinnvoll, angemessen, richtig, dass diese Sportveranstaltungen stattfinden?

Die Geister scheiden sich. Die Fans lechzen nach Entspannung, Freude und Ausgelassenheit nach bald eineinhalb Jahren Pandemie, sagen die Unterstützer: Spaß und Glück mit der schönen Nebenbeschäftigung. Und die Kritikerinnen, vor allem auch in Japan sagen: Das hat uns gerade noch gefehlt – und fordern, die Spiele erneut abzublasen. Man ahnt es: Uneingeschränkte Entspannung, Freude, Ausgelassenheit wird sich weder bei dem Treffen der Athleten aus aller Welt in Japan noch beim Eurovision Song Contest des Fußballs in Europa einstellen. Für ein paar Fans, vielleicht. Aber es werden weder in Brasilien, hierzulande noch in Japan Sportfeste der Glückseligkeit werden. Dafür sind zu viele Menschen zu müde, ausgezehrt im Kampf gegen das Virus, das ohne Zweifel in Anbetracht seiner Mutationen noch immer nicht lockerlassen will. In Indien hat auch das Bestehen auf die religiösen Feierlichkeiten im Frühjahr geradewegs in die Katastrophe dieses Frühsommers geführt. Der Seite der zustimmenden Argumente für Fußball und Olympia stehen also mindestens genauso viele Gegenargumente gegenüber.

Warum also das Ganze? Es drängt sich wie leider so oft im Spitzensport der Gedanke auf, dass es hinter den hehren Ansprüchen des Sports in Sachen Völkerfreundschaft und internationaler Gemeinsamkeit schlicht ums Geld geht. Um Vermarktungsrechte, die Fernsehbilder.

Gut möglich, dass dieser Sport-Sommer dafür den Beweis liefert wie nie zuvor. Nämlich dann, wenn die so wohltuenden, tollen Bilder der Sportfeste aus der Vergangenheit mit fröhlichen, ausgelassenen Menschen ausbleiben. Insofern wird uns das Virus auch dort erneut einen Spiegel vorhalten. So wie wir sehen, dass die entwickelte Welt seit Monaten den Ärmsten den Impfstoff vorenthält, um wenigstens das medizinische Personal auf dem afrikanischen Kontinent durchzuimpfen. So wie es unseren moralischen Bankrott offen zeigt, wenn in Ländern wie dem Tschad bis heute keine einzige Impfdosis angekommen ist. Oder, so weit muss man gar nicht schauen, so wie hierzulande das Klinikpersonal am Ende seiner Kräfte ist. Also jene, für die im April 2020 noch von Balkonen herab geklatscht wurde. Oder die Sprechstundenhilfen, die sich seit Wochen jeden Tag mit zickigen Damen und Herren, gerne über 60, auseinandersetzen müssen, denen der Oxford-Impfstoff AstraZeneca nicht fein genug ist, obwohl doch klar sein müsste, dass jetzt die Jungen dran wären – mit den mRNA-Impfstoffen von BioNTech und Moderna geimpft zu werden. Also jene, die gegenüber den Risiko-Jahrgängen mehr als ein Jahr lang Solidarität geübt haben, eingepfercht in Jugendzimmern ohne Aussicht auf ein wenig Ausgelassenheit im Techno-Club.

Der Spiegel, den uns das Virus vorhält, zeigt so viel über uns als Menschen, besonders in den vermeintlich fortschrittlichen Gesellschaften. Doch der Ball muss eben rollen.

Es wird sehr viele geben, die ihre Entscheidung längst getroffen haben: Nämlich die Fernbedienung liegen zu lassen, einen großen Bogen um Biergärten mit Fußball-Leinwänden zu machen und sich auf das Wesentliche zu konzentrieren – die Trauer um die viel zu vielen Toten und Ruhe und Erholung von dieser Zumutung, die das Virus uns Menschen aufgedrängt hat. Es wird auch viele geben in diesem Sommer, die nachdenken über die Zumutungen des Menschen gegenüber der Natur, die dieser Katastrophe voranstanden.

Der Berliner Virologe Christian Drosten hat zuletzt in einem viel beachteten Interview des Online-Portals republik.ch anschaulich ausgeführt, dass für ihn die Wahrscheinlichkeit mittlerweile sehr hoch ist, dass die Zoonose, aus der Sars-CoV-2 hervorgegangen ist, auf die intensive Ausbeutung von Fell- und anderen Kleintieren in China zurückzuführen ist. Dort werden die Fellapplikationen herangezüchtet, die an den Jacken angenäht sind, die dann in den Kaufhäusern des Westens hängen. Von der Fledermaus in die Massentierhaltung zum Menschen. So ließe sich auch die rasante Verbreitung des Virus in den Nerzfarmen Europas erklären. Die einen werden also nachdenklich in sich gehen, während der Rest zuschaut, wie sich Sportlerinnen und Sportler um Ruhm und Ehre abkämpfen. Dann macht mal schön.

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