Noch halten die westlichen Demokratien, aber um sich gegen die Autokratien zu behaupten, müssen Europa und Deutschland wetterfest gemacht werden
Noch halten die westlichen Demokratien, aber um sich gegen die Autokratien zu behaupten, müssen Europa und Deutschland wetterfest gemacht werden
Ingo Zamperoni, der ARD-Tagesthemen-Moderator und ehemalige Washington-Korrespondent, ist ein Kenner der US-amerikanischen Innenpolitik. In seiner in der vergangenen Woche ausgestrahlten Dokumentation am Montag zeigte er am Beispiel seiner amerikanischen Familie, seiner Freunde und Bekannten aus der Korrespondentenzeit noch einmal schonungslos auf, wie zerstritten und gespalten die amerikanische Bevölkerung ist, wie Hass und Gewalt in die amerikanische Politik eingedrungen sind. Das letzte Beispiel: der brutale Einbruch in das Haus der Demokratin Nancy Pelosi. Fassungslos mussten wir schon am 6. Januar 2021 mitansehen, wie die US-amerikanische Demokratie haarscharf an einem Putsch durch einen irrlichternden republikanischen Präsidenten Donald Trump vorbeikam, das System der Checks and Balances letztlich nur durch einen Mann gerettet wurde – den republikanischen Vizepräsidenten Mike Pence, der die Wahl Joe Bidens zum neuen US-Präsidenten anerkannte.
Doch der tiefe Graben der Unversöhnlichkeit zwischen den politischen Lagern ist geblieben. Er wurde durch das Ergebnis der midterm elections am Dienstag bestätigt, wenn auch nicht weiter vertieft. Sicher, es ist richtig, dass bei den Halbzeitwahlen in den USA fast immer der amtierende Präsident abgestraft wird, so auch dieses Mal, aber der von den Europäern befürchtete Erdrutschsieg der Republikaner – und indirekt der Donald Trumps – blieb aus. Dennoch: Viele Amerikaner haben kein Vertrauen mehr in ihr politisches Zwei-Parteien-System, zweifeln an der Demokratie. Die Kluft von Arm und Reich ist zu groß geworden. Joe Biden versucht, diesen Graben zu beseitigen, ein langwieriger Prozess. Noch haben es ihm die Wähler und Wählerinnen bei diesen Kongresswahlen nicht gedankt, aber sie haben Biden und seinen Demokraten auch keine desaströse Niederlage beigebracht. Hinzu kommt, dass bei den Republikanern selbst eine Spaltung bevorstehen könnte zwischen dem Trump-Lager und den Unterstützern des Gouverneurs von Florida, Ron DeSantis im Hinblick auf die Präsidentschaftskandidatur 2024. Es wird nicht einfacher für die Europäer im Umgang mit den USA in den nächsten Jahren. Das Ansehen der USA war nach der Trump-Präsidentschaft international beschädigt, in Europa verbunden mit der Angst, wie sich das Verhältnis zwischen Europa und den USA entwickeln wird. Heute können wir sagen: Dank Präsident Biden ist es vertrauensvoll wie lange nicht mehr, wobei natürlich Wladimir Putins verbrecherischer Angriffskrieg gegen die Ukraine viel zu dieser Entwicklung beigetragen hat. Dennoch: Für viele Bundesbürger hat das Vertrauen in die USA Risse bekommen. Es scheint, als habe dort die Putin-Propaganda durchaus Erfolge erzielt. Die Putin-Versteher besonders im Osten unseres Landes sollten darüber einmal gründlich nachdenken.
Beim Ansehen von Ingo Zamperonis Film habe ich mich daher auch gefragt: Wo steht eigentlich Deutschland, innenpolitisch und außenpolitisch? Ist es nicht gerade einmal knapp zweieinhalb Jahre her, dass Rechtsextreme, sogenannte Reichsbürger und Verschwörungstheoretiker versucht haben, den Berliner Reichstag zu stürmen, einige wenige sogar ins Gebäude eindrangen? Nehmen nicht Hasskommentare in den sozialen Medien ständig zu, und sind nicht besonders in den neuen, ostdeutschen, aber auch in westdeutschen Bundesländern Umfragen zufolge immer mehr Menschen mit der Demokratie unzufrieden? Dort buhlen AfD, Rechtsradikale, Querdenker und Verschwörungstheoretiker mit ihren zum Teil obskuren Thesen um Aufmerksamkeit, unterstützt von Putins Troll-Fabriken.
Wir sollten auf diese Art rechtspopulistischer Politik nicht reinfallen, weder als Politiker noch als Wähler. Sie ist gefährlich für den Zusammenhalt der Gesellschaft. Diese rechtspopulistische Politik droht, unser Land zu spalten, nicht nur zwischen West und Ost. CSU-Chef Markus Söder zieht zusätzlich einen Graben zwischen Nord und Süd, so geschehen auf dem CSU-Parteitag, sein neuerster Coup zum Stimmengewinn für die kommende Landtagswahl. Das ist schlichtweg unverantwortlich. Er spielt aus parteitaktischen Gründen mit dem Zusammenhalt der Bundesrepublik. Um es deutlich zu sagen: Die Demokratie in diesem Land funktioniert. Die Bundesrepublik ist eines der demokratischsten Länder der Welt, und um unser Gesundheitssystem, um unsere Kulturlandschaft und – bei aller berechtigten Kritik und Reformbedarf – auch um unseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk werden wir weltweit beneidet. Nicht selten habe ich den Eindruck, wir wissen gar nicht, wie frei wir leben können. Ein Blick auf die Autokratien wie Russland, China und andere Staaten führt uns das doch jeden Tag vor Augen. Demokratie bedeutet Auseinandersetzung, bedeutet Streit, bedeutet Respekt, bedeutet Vertrauen in die Führung des Landes durch eine Bundesregierung. Das Vertrauen bröckelt aber, wenn sich die Partner in einer Regierung nur noch streiten. Die Ampelregierung unter Olaf Scholz hat dort nicht immer den besten Eindruck hinterlassen, und Machtworte, wie beim Konflikt um die Laufzeit der Atomkraftwerke, kann ein Kanzler nur einmal sprechen, sonst gefährdet er den Bestand seiner Regierung. Das wäre fatal in der außenpolitischen Lage, in der sich Deutschland und Europa in diesen Kriegszeiten befinden.
Es ist schon besorgniserregend, wenn das Ansehen der Bundesregierung in diesen Krisenzeiten bei den Bürgern eher bescheiden ist. Nach dem jüngsten Deutschlandtrend der ARD ist nur knapp ein Drittel der Befragten mit der Arbeit der Ampelregierung zufrieden, besonders die Grünen- und FDP-Wähler hadern mit der Ampel. Vielleicht aber müssen wir uns wieder viel deutlicher machen, dass Entscheidungsprozesse in einer Demokratie, besonders in einer föderalen Demokratie, immer länger dauern und nicht jede Auseinandersetzung zu einer Krise hochstilisiert werden sollte. Auch die Medien könnten dort eine Portion verbaler Abrüstung gut vertragen, und eine Opposition wie die Union sollte nicht die rechtspopulistische Karte spielen. Ingo Zamperonis Film führte mich aber auch zu der Frage, wie es um Europa steht. Die EU hat bislang zusammengestanden bei der militärischen und finanziellen Unterstützung der Ukraine und beim Kampf gegen Energieknappheit und hohe Energiepreise.
Aber dieser Zusammenhalt bröckelt, auch weil Deutschland sich immer wieder Sonderwege erlaubt – auf Kosten anderer europäischer Staaten. Einige europäische Regierungen haben den Eindruck, Deutschland fordere von den EU-Staaten immer sehr viel Solidarität, doch selbst handele es nicht immer nach dieser Maxime. Sein Auftreten wird auch in Brüssel mitunter als arrogant bewertet, zu wenig habe Berlin in den vergangenen Jahren zum Beispiel die Interessen und Warnungen der baltischen Staaten berücksichtigt. Die Alarmglocken müssen schrillen, wenn dann auch noch die deutsch-französischen Beziehungen in eine Krise geraten, wie in den vergangenen Wochen, ausgelöst durch selbstherrliche Beschlüsse der Bundesregierung beim Kauf amerikanischer Kampfjets oder bei der Strategie der Errichtung von Flüssiggas-Terminals. Die deutsch-französische Achse war immer der Grundpfeiler der EU, nicht dominant, aber wichtig für den Zusammenhalt. Wenn sie auseinanderbricht, dann kann Putin triumphieren. Es war deshalb ein richtiges, wenn auch spätes Zeichen, dass Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, Bundeskanzler Scholz und Italiens damaliger Ministerpräsident Mario Draghi gemeinsam nach Kiew gereist sind. Genauso richtig war es, dass Scholz in dieser unruhigen Weltlage trotz der umstrittenen Entscheidung für die Beteiligung des chinesischen Staatkonzerns Cosco an einem Hamburger Hafenterminal jetzt nach Peking aufgebrochen ist, um deutlich zu machen, wo Chinas politisches und wirtschaftliches Machtstreben den Widerstand der Demokratien hervorrufen wird.
Nun aber muss die neue Chinastrategie der Bundesregierung schnell erkennbar und mit der EU gemeinsam entwickelt, umgesetzt und dann nach außen vertreten werden. Es wäre daher bei dieser Reise eine gute Idee gewesen, Scholz wäre zusammen mit dem französischen Präsident Macron und dem EU-Außenbeauftragten Josep Borrell nach Peking gereist. Weniger Alleingänge, noch mehr Gemeinsamkeiten, das ist die dringendste Aufgabe für Europas Bestehen in einer neuen Weltordnung. Nur ein einiges und starkes Europa kann sich gegenüber den Machtzentren USA und China, aber auch Russland behaupten. Es muss wetterfest gemacht werden gegen mögliche gefährliche Entwicklungen in diesen Machtzentren. Vielleicht sollte Ingo Zamperoni mal einen Film über seine europäischen Verwandten drehen.