Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kaum hatte die EU-Kommission diese Woche ihr Klimapaket vorgestellt, schon prasselte vor allem Kritik auf die 27 Kommissare einschließlich ihrer Präsidentin ein – von Experten, von Umweltschützern, von der Industrie, von den Medien. Zu unambitioniert, sagen die einen, zu teuer für den weltweiten Gesamtnutzen die anderen, zu wettbewerbsverzerrend, zu einseitig in den Maßnahmen. Vielleicht zu spät, hieß es auch – nach einer zweijährigen Verhandlungsphase blieben nur noch gut sechs Jahre, um bis 2030 die 55 Prozent CO2-Reduktion im Vergleich zu 1990 zu erreichen.
Ähnliches ist eine Woche zuvor der G20 widerfahren, als sie in Venedig ihr Verhandlungsergebnis präsentierte, das eine globale (sic!) Mindestbesteuerung für internationale Unternehmen von 15 Prozent vorsieht. Ein einzigartiges Vorhaben, und wieder hieß es für die einen, es sei vor allem bezogen auf die Höhe des Steuersatzes nicht ehrgeizig genug. Andere zweifelten an der Umsetzbarkeit. Dabei haben sich 131 von den 139 in der OECD zusammengeschlossenen Staaten zumindest auf Arbeitsebene einverstanden erklärt. Schon das ist sehr erstaunlich, wo doch der Kampf um Standortvorteile von Nationalstaaten gerne über niedrige Steuersätze geführt wird.
Aus der Abteilung Wohlfeil
So unterschiedlich die beiden Vorhaben sind, so unvergleichbar die Ebenen, auf denen sie erdacht wurden und nun weiterverhandelt werden müssen, so divers die Herausforderungen. Und so wenig man sie eigentlich in einem Atemzug nennen sollte – die viele Kritik, die beiden Vorhaben widerfährt, bevor sie erst richtig begonnen haben, ist wohlfeil. Sie ist vielfach nicht kreativ, nicht innovativ, den Vorhaben nicht förderlich.
Es hätte die Chance gegeben, auch einmal anders zu reagieren – mit einer gewissen Faszination dafür, dass sich erstmals seit Jahren Politiker verschiedener Nationalitäten gemeinschaftlich auf Maßnahmen verständigen, um endlich zwei globale Großbaustellen in Angriff zu nehmen.
Natürlich hätte die EU besser daran getan, sich Klimaschutzmaßnahmen nicht erst dann zuzuwenden, wenn das Abschmelzen der Polkappen unabwendbar ist und Schüler massenhaft auf die Straßen gehen. Und natürlich hätte sich die G20 viel früher über den unerträglichen Missstand Gedanken machen müssen, dass die ertragreichsten Konzerne der Welt sich jeglicher Steuerpflicht entziehen, während die einzelnen Staaten vor allem ihren Mittelstand schröpften.
Hohe Kunst: Macht abgeben
Doch: Besser spät als gar nicht. In den zwei vergangenen Wochen sind zwei hochinteressante Experimente gestartet, die für die Nationalstaaten weitere Souveränitätsverzichte mit sich bringen werden. Es könnten tatsächlich zwei beispielhafte Prozesse beginnen, die kleinzureden das falsche Signal ist, weil sie das Potential haben, die Maßstäbe internationaler Zusammenarbeit zu verändern.