Wollen Netanyahu, Trump und MBS Joe Bidens diplomatischen Pläne gegenüber dem Iran zunichte machen?
Wollen Netanyahu, Trump und MBS Joe Bidens diplomatischen Pläne gegenüber dem Iran zunichte machen?
Verdeckte Kriege, das liegt in der Natur der Sache, sind nicht einfach zu rekonstruieren, genauso wenig wie die Beweggründe für einzelne Schlachten. Deshalb also vorneweg noch einmal die gesicherten Fakten: Am 27. November 2020 kommt ein hochrangiger iranischer Wissenschaftler bei einem gezielten Anschlag auf ihn in der Nähe von Teheran ums Leben. Es handelt sich um den 59-jährigen Mohsen Fakhrizadeh, Leiter der Forschungs- und Innovationsabteilung des Verteidigungsministeriums.
Israels Regierungschef Benjamin Netanyahu hat den Mann als den „Vater“ des geheimen Atomwaffenprogramms bezeichnet. „Merken Sie sich diesen Namen“, forderte er 2018 die Teilnehmer einer Pressekonferenz auf, bei der er ihnen zum Beweis eine umfassende Dokumentation präsentierte, die zuvor aus iranischen Geheimarchiven entwendet worden war.
In Teheran deutete man schnell auf Israel als Urheber des Anschlags und droht mit Racheschlägen gegen den „kleinen Satan“ und seine westlichen Verbündeten. Israelische Diplomaten und Reisende im Ausland wurden zu zusätzlicher Vorsicht angemahnt. Im Norden des Landes ist man für potenzielle Angriffe durch iranisch kontrollierte Milizen jenseits der Grenze im Libanon und in Syrien gerüstet.
Zur Logik dieses verdeckten Krieges gehört es, dem Feind zu zeigen, dass er zu Hause angreifbar ist. Nur so lassen sich die widersprüchlichen Angaben über den Tatvorhergang auf offener Straße erklären. Denn zunächst hatten Augenzeugen im Staatsfernsehen von einem explodierenden Lastwagen berichtet, woraufhin mehrere Männer einen Kugelhagel auf Fakhrizadehs Wagen eröffneten. Später aber ließen offizielle Stellen dann verlauten, es hätte sich um einen „sehr ausgeklügelten, elektronisch ferngesteuerten Mord“ gehandelt – ganz ohne Menschen vor Ort. Das schmälert immerhin das eigene Versagen und zeigt, dass man dem Feind zumindest schnell auf die Schliche gekommen ist.
Für das iranische Regime ist es in diesem Jahr mindestens der dritte – tödliche – Anschlag auf einen hochrangigen Mitarbeiter. Im Januar war im Irak der General der iranischen Revolutionsgarden, Kassam Suleimani, von einer amerikanischen Drohne getroffen worden. Im August folgte die Ermordung von Abu Muhammad al-Masri, Al Qaidas Nummer zwei, in Teheran. Zuvor war es zu einer mysteriösen Explosion in der Atomanlage von Natanz gekommen, woraufhin man verkündigt hatte, die beschädigte Anlage durch einen besser ausgestatteten, größeren Bau zur Urananreicherung ersetzen zu wollen.
Was den jüngsten Anschlag heraushebt, ist somit weder die Art der Durchführung, noch die Prominenz der Zielscheibe, sondern das Zeitfenster – nach der Abwahl von US-Präsident Donald Trump und vor der Amtseinführung seines Nachfolgers Joe Biden am 20. Januar. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass es eine „operative Gelegenheit“ war, die über das Datum der Ermordung entschieden hat, so steckt darin trotzdem eine unverhohlene Botschaft an den neuen Präsidenten, sich seine künftige Politik gegenüber dem Iran gut zu überlegen. Denn Biden hält nichts von der bisherigen amerikanischen Politik des „maximalen Drucks“ gegenüber Teheran.
Man kann davon ausgehen, dass der Anschlag mit der Zustimmung Washingtons stattgefunden hat und dass möglicherweise auch Riad mit im Bilde war. Denn bei einem iranischen Gegenschlag wären die USA und die Golfstaaten ebenso potenzielle Angriffsziele. Auf eine Koordinierung deuten Berichte über ein klandestines Treffen in der saudischen Hafenstadt Neom, bei dem der Kronprinz Mohammed bin Salman (gemeinhin MBS genannt), der (noch) amerikanische Außenminister Mike Pompeo und Israels Premier Netanyahu anwesend gewesen sein sollen.
Kritiker werfen dem Trio vor, mit dem Anschlag eine Rückkehr zu Verhandlungen mit dem Iran verhindern zu wollen. Tatsächlich könnte ein iranischer Gegenschlag zur Eskalation in der Region führen. Trump, unberechenbar wie er ist, könnte noch in den letzten Tagen seiner Amtszeit verbrannte Erde im Nahen Osten hinterlassen. Aber gerade das könnte für eine eher verhaltene – oder erst einmal abwartende – Reaktion Teherans sprechen. Man will es sich dort auch nicht unbedingt von Anfang an mit dem neuen US-Präsidenten verscherzen, der ja dem Atomabkommen wieder beitreten möchte. Die Zeiten sind schon so schwer genug, geprägt von harschen Sanktionen und Corona-Pandemie. Ob Biden also tatsächlich alle Optionen für einen neuen Kurs genommen wurden, ist offen.
In einer ersten Demonstration von Unbeugsamkeit verabschiedete das Parlament in Teheran am Mittwoch ein Gesetz, das die iranische Atomorganisation (AEOI) beauftragt, sofort pro Jahr 120 Kilogramm an 20-prozentigem Uran herzustellen und zu lagern. Der bisherige Anreicherungsgrad liegt knapp unter fünf Prozent. Darüber hinaus will man internationale Inspektoren ausweisen, sollten die amerikanischen Sanktionen nicht bis Februar aufgehoben werden. Ein Sprecher des Außenministeriums allerdings distanzierte sich von der Entscheidung. Er kritisierte sie als „weder nötig noch produktiv“ und auch für das iranische Volk „wenig hilfreich“.
Denn President-Elect Biden will das 2015 unterzeichnete Atomabkommen wiederbeleben, das sein Vorgänger vor zwei Jahren aufgekündigt hat. Allerdings unter der Bedingung, „es zu stärken und auszuweiten“. Gleichzeitig möchte er „wirksamer gegen andere destabilisierende Aktivitäten des Iran in der Region vorgehen“. Gemeint sind dessen hochbewaffnete Milizen im Libanon, Iran, Syrien und Jemen. Dies ist ein kritischer Punkt, der in der Vergangenheit bei den Verhandlungen ausgeklammert worden war. Diese Lücke im Abkommen von 2015 fürchtete Israel genauso wie arabische sunnitische Staaten. Dies trug auch mit zu dem Schulterschluss bei, der gerade erst in den Normalisierungsabkommen mit den Vereinigten Arabischen Emiraten und Bahrain formalisiert wurde.
Die Region befindet sich im Wandel, und der Iran spielt dabei eine wichtige Rolle.
Auf die Frage an Biden, ob er denn auch nach dem Anschlag auf Mohsen Fakhrizadeh an dem Ziel eines besseren Atom-Deals festhalten wolle, erklärte er: Es werde nicht leicht sein, aber ja. Da die jüngste Schlacht in dem verdeckten Krieg nicht auf sein Konto geht, könnte der angehende Präsident womöglich sogar aus deren Abschreckungswirkung Nutzen ziehen und Teheran einen neuen diplomatischen Kurs anbieten.