Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Köln ist eine zutiefst katholische Stadt. Und Kardinal Rainer Maria Woelki ihr oberster, zutiefst konservativer Katholik. Im größten Bistum der Bundesrepublik mit rund zwei Millionen Mitgliedern spitzt sich derzeit ein Konflikt zu, den die Kirche so gar nicht gebrauchen kann. Selbstherrlich hält Woelki ein Gutachten zum Missbrauch in der Diözese zurück, das seine Deutungshoheit über das Kirchengeschehen untergraben könnte. Das Ganze toppt er mit dem Versuch, ausgerechnet Journalisten als Gegenleistung für immerhin ein wenig Einblick zur Verschwiegenheit zu verpflichten, was an Widersinnigkeit kaum zu überbieten ist. Nicht nur in Köln ist die Aufregung groß.
Man könnte diesen neuen Vorfall in der unendlichen Geschichte des massenhaften klerikalen Missbrauchs und seiner Vertuschung genüsslich zu einem weiteren kirchentypischen Großskandal aufblasen. Man kann den Fall allerdings auch unter dem Aspekt eklatanten Führungsversagens analysieren, das schwachen Führungspersönlichkeiten eigen ist, von denen sich nicht nur in der Kirche so viele finden. Denn bei ihnen paart sich Überheblichkeit mit mangelnder Souveränität, eine teuflische Kombination, die einen offenen Umgang mit dem eigenen Führungsversagen auf geradezu selbstzerstörerische Weise vereitelt. Besonders anfällig dafür sind wert- und strukturkonservative Organisationen, zu denen die katholische Kirche an vorderster Stelle gehört.
Warum ist das so? Übertriebener Wert- und Strukturkonservatismus führt dazu, dass bei der Auswahl von Personal für Führungspositionen vor allem die Linientreue den Ausschlag gibt und die eigentlich erforderlichen Führungsqualitäten in nachgerade fataler Weise in den Hintergrund treten. Mehr noch, sie sind meistens gar nicht gewünscht. Geistige Unabhängigkeit, Innovationsfreude und vor allem Charisma gelten in solchen Organisationen als Störeigenschaften, die dem Konservatismus zuwiderlaufen. Diejenigen, die Positionen auf derart patriarchalische Weise besetzten, sind sich dessen zudem meist überhaupt nicht bewusst. Dieses Strukturphänomen kennzeichnet nicht nur die Kirche, es tritt häufig genug auch in Unternehmen auf. Dort allerdings wird es – mit welchem Ergebnis auch immer – auf Dauer vom Wettbewerb korrigiert.
In der katholischen Kirche ist das anders. Da gehen auch die Geschichten anders aus. Nämlich so wie bei Woelki. Ihm ist die Luft ausgegangen. Er hat sich inzwischen hilflos an die nächsthöhere Institution gewandt – den Vatikan. Ausgerechnet der soll prüfen und richten. Eine Lösung aber sollten die Kölner Katholiken vom Vatikan besser nicht erwarten. Sollte der Kölner Kardinal tatsächlich zur Buße verdonnert und ersetzt werden, folgte ihm ein anderer, der nach gleichen Kriterien ausgewählt wäre wie sein Vorgänger. In der katholischen Kirche geht das seit mehr als einem Jahrtausend so.