Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Kolumne | Auf den Zweiten Blick
Wäre die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg nicht unlängst auf Kanzlerin Angela Merkel getroffen, hätten wir vor dem Hintergrund wieder steigender Covid-Infektionszahlen ganz vergessen, dass derzeit überall auf der Welt die Wälder brennen. Allen voran im Amazonas-Gebiet in nie da gewesenem Ausmaß. Jetzt soll deshalb das geplante Freihandelsabkommen der EU mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten hinausgezögert werden. Eine Sanktionsmaßnahme.
Seit Beginn verstärkter Brandrodungen Anfang der 1990er-Jahre hat sich Brasilien kaum je um die weltweiten Aufschreie ob der Vernichtung des einzigartigen Ökosystems geschert. Im Gegenteil – die Eingriffe wurden immer vehementer. Das Problem dahinter ist ein Interessenkonflikt: Die Stabilität des Weltklimas zugunsten aller basiert auf der Unversehrtheit dieser gigantischen „grünen Lunge“. Dem aber stehen die individuellen Interessen der brasilianischen Bauern für die Sicherung und Mehrung ihres Lebensunterhalts entgegen. Interessenkonflikten ist nicht mit Appellen, Drohungen oder Sanktionen beizukommen, sondern nur mit Interessenausgleich.
Im Fall des Regenwaldes ist dieser allerdings nicht ganz einfach zu organisieren. Denn der Welt-Nutzen seines Klimabeitrags hat keinen konkreten Preis. Mehr noch: Gutes Klima ist ein öffentliches Gut, dessen sich jeder erst dann bewusst wird, wenn es sich verschlechtert. Wer den Regenwald retten will, kann heute schon über Umweltinitiativen – für vergleichsweise wenig Geld – einen Hektar Wald erstehen. Als Tropfen auf den heißen Stein sind diese Aktionen oft belächelt worden, obschon ihnen ein ökonomisch logischer Gedanke innewohnt: Der Klima-Beitrag des Regenwaldes braucht einen Preis. Das könnten die entgangenen Gewinne aus nicht realisierten landwirtschaftlichen Vorhaben oder dem verhinderten Abbau von Bodenschätzen sein. Nur wäre es nicht fair, diese Kosten in Form entgangener Gewinne allein dem Land aufzubürden, in dem der Wald zufällig wächst. Auf den Punkt gebracht hat das unlängst der Ökonom Hans-Werner Sinn mit der provokanten Forderung, die Weltgemeinschaft müsse den betroffenen Ländern den Regenwald als Ganzes abkaufen und dann seinen Schutz organisieren.
Der Gedanke ist nicht neu. Schon in den 1990er-Jahren wurde über eine Zahlungsbereitschaft der Weltgemeinschaft für den Schutz des Regenwaldes debattiert. Verfolgt wurden die vielen klugen Ideen leider nie. Man dachte, man könnte es billiger haben. Daran aber wird sich etwas ändern müssen. Sonst werden die Amazonaswälder nicht zu retten sein. Für seinen Produktionsanteil an gutem Klima wird die Welt Brasilien entschädigen müssen. Ein Modell dazu sollte sie sich lieber früher als später überlegen.