Kolumne | Direktnachricht
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„Jin! Jiyan! Azadî!“ Der kurdische Befreiungsruf „Frau! Leben! Freiheit!“ hallt auch drei Wochen nach dem staatlichen Femizid an Jina Mahsa Amini weiter durch die Straßen Irans und Ostkurdistans. Der Protest zieht sich wie nie zuvor durch alle Gesellschaftsschichten, und die Rufe fordern nicht weniger als eine Revolution. Es zeigt, was Feminist_innen schon lange wissen: Die Kämpfe für eine gerechte und freie Gesellschaft müssen genauso zusammengedacht wie -geführt werden. Die Revolution ist intersektional.
Jina Amini kam aus einer der ärmsten Regionen des Landes, als Frau und Kurdin wurde sie systematisch diskriminiert. Ihr Tod vereinte damit „die historische Frustration und Wut im Land in sich“, hält die Journalistin Sham Jaff fest. Menschen aller Geschlechter lehnen sich jetzt auf, doch getragen wird der Aufstand durch den Mut der Frauen und Mädchen. Ihre Unterdrückung ist nicht nur ein Kollateralschaden, sondern eine feste Säule des diktatorischen Systems.
Die Bilder der iranischen Proteste sind auch deshalb so bewegend und bedeutsam, weil sie uns history in progress zeigen. Frauen und andere Menschen marginalisierter Geschlechter haben schon immer Geschichte gemacht, doch wird diese oft in die Unsichtbarkeit gedrängt oder gar ausgelöscht. Die bisher geringe mediale und politische Aufmerksamkeit für die historischen Aufstände im Iran droht dies derzeit fortzuschreiben. Selbst große, weltweite solidarische Demonstrationen für die Protestierenden erhielten nur mäßiges Interesse, dafür schaut man lieber nochmal zum Oktoberfest rüber.
Die internationale Aufmerksamkeit und Solidarität sind aber ein wichtiger Schutzschild für die protestierenden Menschen vor Ort. Das Regime ist umso gefährlicher und brutaler, wenn es sich unbeobachtet fühlt. Darauf weisen Exil-Iraner_innen unermüdlich hin. Es ist nur ihren lauten Stimmen zu verdanken, dass wir mittlerweile überhaupt mehr über die Geschehnisse im Iran sprechen.
Eine von ihnen ist die Journalistin Gilda Sahebi, sie sagt: „Die Werte, für die die Menschen kämpfen, kommen nicht von außen, nicht vom Westen, denn alle Werte, die ein freies Land braucht, sind bereits da. Es braucht Kampf, es braucht Willen, es braucht das Wissen, dass man gewinnen kann gegen die patriarchalen Strukturen.“ Und dafür braucht es unsere aktive Solidarität.
Gerade als wichtigster wirtschaftlicher Partner des Irans hat Deutschland nicht nur eine Vorbildwirkung, sondern eine Verantwortung. Die Protestierenden wahrzunehmen und ihnen zuzuhören, ist der eine Schritt. Der wichtigere ist jedoch: unterstützend zu handeln. Außenpolitisch wäre es zum Beispiel möglich und geboten, Abschiebungen in den Iran zu stoppen, Schutzsuchenden aus dem Iran schnell Asyl zu gewähren und die europäischen Konten Regimeangehöriger einzufrieren. Auch eine härtere, öffentliche Verurteilung des iranischen Regimes verstünde sich eigentlich von selbst. Die Ampel-Koalition hat sich den längst überfälligen Anspruch einer feministischen, also einer menschenrechtsgeleiteten Außenpolitik selbst gesetzt. Diesem Versprechen müssen nun dringend beherzte Taten folgen.