Nicht laut sagen: Israel ist zum strategischen Partner der Golfstaaten geworden
Nicht laut sagen: Israel ist zum strategischen Partner der Golfstaaten geworden
Etwas Neues tut sich im Nahen Osten. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind zur Aufnahme voller diplomatischer Beziehungen mit Israel bereit. Weitere Golfstaaten, allen voran Bahrain, könnten bald folgen. Damit ist ein Konsens in der arabischen Welt aufgebrochen worden. Der stipuliert, dass eine Normalisierung mit Israel erst nach einer Lösung der Palästinenserfrage stattfinden dürfe. Es dauerte fast eine ganze Woche, bis sich der mächtigste Golfstaat zu der Entwicklung äußerte. In Berlin erklärte der saudische Außenminister dann, dass sein Land an der arabischen Friedensinitative von 2002 und somit an der bisherigen Chronologie festhalte. Das tagelange Schweigen aber spricht Bände. Nichts mehr ist, wie es war. Der Grund dafür liegt an einem veränderten Koordinatensystem der Region.
Der Arabische Frühling von 2011 spielt dabei eine wichtige Rolle, denn er hat zum Wandel des Selbstverständnisses der Regime beigetragen. Die Aufstände haben den Herrschern am Golf gezeigt, dass ein Volkszorn wegen Korruption und Repression ihre Regime potenziell stärker bedrohen könnte als die – als Blitzableiter oftmals sogar explizit zugelassenen – Wutentladungen über fehlende Solidarität mit den Palästinensern. Verändert hat sich auch das Sicherheitsverständnis, seitdem Washington begonnen hat, zunächst noch unter Präsident Barack Obama, dann aber auch unter seinem Nachfolger, sich immer mehr aus dem Nahen Osten zurückzuziehen. Überhaupt gelten die westlichen Verbündeten heute als weniger verlässlich als früher. Hatten diese doch tatenlos zugesehen, wie ihr Schützling, der ägyptische Präsident Hosni Mubarak, von den Protesten weggefegt wurde. Und niemand wollte militärisch intervenieren, weder als Syrien Gilftgas gegen die eigene Bevölkerung einsetzte noch als Teheran des Angriffs auf saudische Ölraffinerien beschuldigt wurde. Gut möglich also, so die Schlussfolgerung in den Golfstaaten, dass im Notfall auch sie künftig dem eigenen Schicksal überlassen sein würden.
Der Hauptgrund für die Aufgeschlossenheit der Emirate gegenüber neuen Allianzen aber sind die schiitischen Mullahs in Teheran. Denn deren nukleare und hegemoniale Bestrebungen machen den nur 150 Kilometer entfernten sunnitischen Golfstaaten mindestens so viel Angst wie den Israelis. Sie alle fürchten die von Teheran unterstützten radikalen islamistischen Milizen im Irak, im Libanon, in Gaza und Jemen. So war Israel schon länger zum strategischen Partner in der Region mutiert, auch wenn das nicht laut gesagt wurde. Das Atomabkommen mit dem Iran hat die Annäherung dann nur noch intensiviert.
Es war der Außenminister des Golfstaats Oman, Yusuf bin Alawi, der im Oktober 2018 das Kind beim Namen nannte. „Israel ist ein Staat in dieser Region, und wir alle verstehen das. Auch die Welt ist sich dessen bewusst. Und vielleicht ist es jetzt an der Zeit, dass Israel wie alle anderen (Staaten) auch behandelt wird – und auch dieselben Verpflichtungen trägt.“ Den Ball ins Rollen brachte dann wohl im vergangenen Juni ein Brief aus der Feder des Botschafters der Emirate in Washington, publiziert auf der Titelseite der israelischen Tageszeitung Yedioth Aharonot. Er warnte, dass eine israelische Annektierung des Westjordanlandes den Prozess der Annäherung untergraben würde. Netanjahu musste nur zustimmen, nichts zu tun. Der Kronprinz von Abu Dhabi wiederum kann sich jetzt damit brüsten, mit dem Deal immerhin etwas für die Palästinenser getan zu haben.
Israel wandelte sich vom Feind zum Modell in einer Zeit, in der den Scheichs klar wurde, dass ihre Ölquellen eines Tages versiegen könnten und eine zukunftsorientierte Wirtschaft Know-how und Innovationsschübe braucht – sei es in Sachen Cybertechnologie, Landwirtschaft, Wasser, Energie oder Gesundheitswesen. Den Emiraten geht es aber auch noch um einiges mehr. So wurde der Enthusiasmus der Israelis über den Deal gedämpft, als durchdrang, dass dieser auch ein Versprechen Washingtons beinhalten soll, das ihre militärische Überlegenheit im Nahen Osten in Frage stellen würde: den Verkauf amerikanischer F-35 Kampfjets an die Emirate. Für den israelischen Premier Netanjahu ist das ein Rückschlag, der aber nur aufzeigt, dass seine guten Beziehungen zu seinem Freund Donald Trump durchaus durchwachsen sein könnten. „Sie [die Emirate] haben das Geld und würden gerne einige Flugzeuge kaufen“, rechtfertigte sich der amerikanische Präsident.
Damit sind Teheran und seine Verbündeten nun gleich doppelt brüskiert. Der iranische Außenminister bezeichnete die offene Annäherung zwischen den benachbarten Emiraten und Israel als „beschämend und gefährlich“, was die regionale Einheit gegen das „künstliche zionistische Regime“ nur stärken würde. Präsident Hassan Ruhani drohte mit Konsequenzen. Falls die Emirate mit dem Gedanken spielten, Israel den Zutritt zum Persischen Golf zu ermöglichen, werde ihnen gegenüber „eine härtere Gangart eingeschlagen“. Die Türkei, als Teil des pro-iranischen Lagers, drohte damit, die Beziehungen zu den Emiraten abzubrechen. Der Zulauf zu dieser „Achse des Widerstands“ hält sich aber in Grenzen. Es zeichnet sich vielmehr eine Sogwirkung in die andere Richtung ab. Weitere arabische Länder, nicht nur am Golf, wollen nachziehen und Israel anerkennen.
Und die Palästinenser? Sie sind, auf den ersten Blick, die größten Verlierer. Denn sie haben ihr Vetorecht in der arabischen Welt verloren. Doch stärkt die neue Offenheit der Emirate gegenüber Israel zweifellos die pragmatischen Kräfte in der Region. Und das schließt auch die Israelis selber mit ein. Was viele Wähler aus der Mitte in den letzten Dekaden nach rechts hat rücken lassen, war die Angst vor palästinensischem Terror in Kombination mit einer politischen Verweigerungshaltung, angekurbelt und unterstützt von ferner liegenden Ländern im Nahen Osten, die damit aber ihre ganz eigenen Interessen verfolgten. Diese Logik bröckelt nun.
Der historische Deal von Abu Dhabi könnte somit der Anfang von etwas wirklich Neuem sein.