Nichts mehr, wie es vorher war

Die Machtübernahme der Taliban verteilt die außenpolitischen Gewichte neu

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PICTURE ALLIANCE/PHOTOTHEK | FELIX ZAHN
Bundesaußenminister Heiko Maas im Gespräch mit Tamim bin Hamad Al Thani in Doha diese Woche.
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Bundesaußenminister Heiko Maas im Gespräch mit Tamim bin Hamad Al Thani in Doha diese Woche.

Nichts mehr, wie es vorher war

Die Machtübernahme der Taliban verteilt die außenpolitischen Gewichte neu

Der Westen hat mit dem Fall von Kabul am 15. August nicht nur eine Niederlage erlitten, sondern mit der Machtergreifung der Taliban sind auch viele Fixpunkte der internationalen Afghanistan-Politik abhandengekommen – normativ, politisch und institutionell. Das Land selbst befindet sich nunmehr in einer Phase der politischen Transformation mit einem bislang ungewissen Ausgang. Noch ist nicht sicher, ob es eine Regierung der nationalen Einheit geben wird; noch ist nicht klar, wie islamisch die gesellschaftliche Ordnung sein wird; noch ist nicht deutlich erkennbar, wie das neue Regime mit Repräsentanten der alten Ordnung umzugehen gedenkt. Parallel vollzieht auch die internationale Diplomatie einen Anpassungsprozess an die veränderten politischen Koordinaten – sowohl global wie auch regional.

Dabei tat sich die westliche Politik zu Beginn schwer mit der Frage, ob man überhaupt mit den Taliban verhandeln solle. Mittlerweile ist diese Frage durch das konkrete Handeln der westlichen Regierungen beantwortet: Auf Grundlage ihrer eigenen Interessen sprechen sie mit den Taliban über die Fortsetzung der Evakuierung des lokalen Botschaftspersonals, den zivilen Weiterbetrieb des Flughafens in Kabul, weitere humanitäre Hilfe und mögliche Entwicklungszusammenarbeit. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang, dass die USA nur ihre Botschaft nach Doha verlegt, aber die diplomatischen Beziehungen zu Afghanistan nicht abgebrochen haben. Auch Außenminister Heiko Maas hat betont, dass es derzeit zwar nicht um die Frage der völkerrechtlichen Anerkennung der Taliban-Herrschaft gehe, aber die Rückkehr deutscher Diplomaten nach Kabul bereits angedeutet, sofern es politisch möglich wäre und wenn die Sicherheitslage es erlaubt.

Was dem Westen bleibt

Alles andere als ein an praktischen Fragen orientierter Dialog wäre auch illusorisch, denn der Westen hat in Afghanistan eine schmerzliche Niederlage erlitten und ist innerhalb weniger Wochen vom Hegemon zum Bittsteller in dem Land geworden. In einer solchen Situation können die politischen Machtverhältnisse nicht ignoriert und politische Bedingungen diktiert werden. Hinzu kommt ein zweites Argument: In einer internationalen Ordnung, die mehr und mehr von der Rivalität der Großmächte geprägt ist, kann es sich der Westen nicht leisten, das Land und die Region einfach anderen Mächten zu überlassen. Auch wenn eine westliche Politik gegenüber Afghanistan jetzt von Grund auf neu entwickelt und formuliert werden muss, besteht kaum ein Zweifel daran, dass das Land auch in Zukunft strategische Bedeutung haben wird.

Diese Bedeutung haben auch bereits die beiden Großmächte erkannt, die der Region am nächsten liegen – China und Russland. Beide Länder verhalten sich zurzeit trotz der Häme und der Genugtuung über das amerikanische Scheitern in Afghanistan noch abwartend, haben aber bereits bei Besuchen von Delegationen der Taliban in Moskau und Beijing deutlich gemacht, dass sie ihre Interessen gewahrt sehen möchten. Primär sind diese insofern defensiv ausgerichtet, dass sie verhindern wollen, dass der islamistische Extremismus bzw. Dschihadimus nach Zentralasien oder direkt nach Russland bzw. China vordringt. Entsprechende Zusagen, gegen derartige Gruppen und Aktivitäten vorzugehen, haben sie von den Taliban verlangt. In welchem Umfang diese beiden Großmächte sich auch als Ordnungsmächte aktiv gestaltend in Afghanistan engagieren und tatsächlich das Vakuum füllen, das die USA hinterlassen haben, bleibt abzuwarten.

Augenmerk auf Usbekistan, Tadschikistan, Pakistan

Neue Bedeutung haben derweil die unmittelbaren Anrainer Afghanistans gewonnen, was sich nicht zuletzt an der jüngsten Reise von Außenminister Maas nach Usbekistan, Tadschikistan und Pakistan ablesen lässt. Kurzfristig kommt diesen eine zentrale Stellung bei der Evakuierung der verbliebenen Ortskräfte westlicher Botschaften zu, langfristig werden sie vor allem in migrationspolitischer Hinsicht große Aufmerksamkeit verdienen. Denn der weit überwiegende Teil der afghanischen Flüchtlinge, die das Land verlassen, wird erst einmal in den Nachbarländern Schutz und Hilfe suchen. Deren Fähigkeiten und Willen, die Afghanen unterzubringen und zu versorgen, wird – neben anderen Faktoren – darüber entscheiden, in welchem Umfang sie sich auf den Weg nach Europa machen.

Gleiches gilt für die Türkei, die gewillt zu sein scheint, die Rolle der USA in Afghanistan zu übernehmen. Denn die Wiederinbetriebnahme des Flughafens in Kabul ist unabdingbar, wenn dringend benötigte Güter schnell ins Land gelangen sollen. Seine Sicherung ist ein zentraler Auftrag des türkischen Afghanistan-Kontingents gewesen, und schon sehr früh wurde erkennbar, dass das türkische Militär nach dem Abzug der Amerikaner die Verantwortung für die Sicherung des Flughafens übernehmen würde. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Taliban derzeit Gespräche mit Vertretern der Türkei und Katars über die Wiedereröffnung des Flughafens führen. Die türkische Regierung scheint jedoch ihr Engagement über die Gewährleistung der Flughafensicherheit hinaus ausdehnen zu wollen. So hat Präsident Recep Tayyip Erdoğan bereits im Frühjahr versucht, Istanbul zum Schauplatz von Friedensverhandlungen zwischen den Taliban und der afghanischen Regierung zu machen. Somit nutzt die Türkei Afghanistan, um ihr außenpolitisches Profil zu schärfen.

Die Schlüsselrolle Katars

Schließlich ist das diplomatische Gewicht Katars erheblich gestiegen, da Doha seit langem enge Kontakte zu den Taliban unterhält. Erst vor wenigen Tagen griff Präsident Joe Biden zum Telefon, um dem Emir von Katar für die großzügige Unterstützung bei der laufenden Evakuierung aus Afghanistan zu danken. Biden dankte Katar auch für die Erleichterung innerafghanischer Gespräche – obwohl diese bereits vor der Machtübernahme durch die Taliban gescheitert waren. Katar nutzt diese Rolle geschickt, um seine Position als regionaler Vermittler zu festigen und auf der Landkarte der regionalen Politik bzw. der internationalen Politik zu erscheinen.

Dabei sind die Beziehungen zwischen Katar und den Taliban alles andere als neu. Bereits 2013 erlaubte Katar der Miliz, mit Unterstützung der US-Regierung ein Büro in Doha zu eröffnen. Damals suchte Washington einen neutralen Ort für Verhandlungen mit der islamistischen Miliz, um den Truppenabzug aus Afghanistan vorzubereiten und sie in eine politische Lösung einzubinden. Jetzt, nach dem Fall von Kabul, befindet sich Doha aufgrund seiner Beziehungen zu Afghanistan in einer einzigartigen Position. Mit Blick auf die Situation im Land hat Katars Außenminister erst vor wenigen Tagen erklärt, das Emirat sehe sich als unparteiischer Vermittler. Durch diese Vermittlerrolle kann Katar seine Beziehungen zu den Vereinigten Staaten und anderen westlichen und europäischen Staaten stärken. Diese schätzen die Dienste Katars und seine Kontakte zu den Taliban. So hat der deutsche Afghanistan-Botschafter bereits Gespräche mit den Taliban in Doha geführt. Und auch die EU dürfte die Kontakte Katars für anstehende Gespräche mit den Taliban nutzen.

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