Niemand hat die Absicht, eine Programmpartei zu werden

Aber den einstigen Markenkern – die zugeschriebene Wirtschafts- und Problemlösungskompetenz – muss die Partei einem umfänglichen Update unterziehen. Die Union im Wahljahr 2021

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PA/DPA/MICHAEL KAPPELER
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PA/DPA/MICHAEL KAPPELER

Niemand hat die Absicht, eine Programmpartei zu werden

Aber den einstigen Markenkern – die zugeschriebene Wirtschafts- und Problemlösungskompetenz – muss die Partei einem umfänglichen Update unterziehen. Die Union im Wahljahr 2021

Landtagswahlen haben in Deutschland immer auch bundespolitische Bedeutung. Dafür sorgen schon die Zusammensetzung und Einflussmöglichkeiten des Bundesrates, der sich angesichts der bereits bestehenden 13 verschiedenen Koalitionskonstellationen auch „Buntesrat“ nennen könnte.

Ganz anders als noch vor 20 Jahren, interessieren sich Parteien und Beobachter an Wahlabenden jedoch nur noch selten für die Frage, ob die Regierungsmehrheit im Bundestag auch weiterhin die Gesetzgebungsmehrheit – also die Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat – innehaben wird. Schließlich hat in der Bundesgesetzgebung ohnehin schon lange eine „Übergroße Koalition“ unter maßgeblicher Beteiligung der Grünen in den Landesregierungen Einzug gehalten.

Dass die Bedeutung auch der beiden jüngsten Landtagswahlen nicht in den zwischen Bundestag und Bundesrat abweichenden Mehrheitsverhältnissen liegt, gehört zu den vielen Indizien für die Veränderungen der bundesdeutschen Politik in Folge der Volatilität des Wählerverhaltens, der Fragmentierung des Parteiensystems und des damit verbundenen Bedeutungsverlusts der früheren Volksparteien. Die Pandemie wirkt offenbar ein weiteres Mal beschleunigend: Am Wahlsonntag erteilte die Wählerschaft auch der „letzten verbliebenen Volkspartei“ (Ralph Brinkhaus) die unmissverständliche Warnung, dass sie ihre Gefolgsbereitschaft mehr denn je an Voraussetzungen knüpft.

Sicherlich hätte die CDU auch ohne das Missmanagement der Bundesregierung in Sachen Corona und sogar ohne die Maskenaffäre den grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg nicht vom präsidialen Sockel stürzen können. Und die rheinland-pfälzische CDU hätte – selbst wenn sie stärkste Fraktion geworden wäre – über keine Koalitionsoptionen verfügt.

Gleichwohl belegen beide Wahlen, dass von den Parteien neben exekutiver Handlungsfähigkeit auch eine große persönliche Integrität ihrer Spitzenkandidaten erwartet wird. Der Charisma-Anteil an den Wahlerfolgen der amtierenden Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz war hoch. Dieses Phänomen wird uns angesichts einer wirkmächtigen (digitalen) Medienlandschaft und der Exekutivlastigkeit auch künftiger Krisen erhalten bleiben.
Diese fortschreitende Personalisierung von Politik ist für eine liberale Demokratie aber nur dann zuträglich, wenn Repräsentanten und Repräsentierte sich auch auf den Wert unserer institutionellen Ordnung und ihrer vertrauensbildenden Wirkung besinnen – gerade in Zeiten der Verunsicherung.

Nicht nur die Personalisierung der Politik ist unter demokratietheoretischen Aspekten eine Herausforderung, sondern auch die starke Ergebnisorientierung in der deutschen Bevölkerung. Die entsprechende Erwartungshaltung bestand in der stark „Output“-orientierten bundesdeutschen Demokratie auch schon früher. Aber selten zuvor waren die Unzulänglichkeiten von Regierungspolitik so leicht erkennbar und gleichzeitig potentiell so gefährlich wie in Zeiten der Pandemie: Das gerade auch im internationalen Vergleich eklatante Missmanagement bei Impfstoffbeschaffung und -verteilung sowie das Unvermögen, die eigenen großspurigen Ankündigungen auch einzuhalten, verärgern nicht nur. Vielmehr nehmen gerade die Wähler, bei denen die Unionsparteien bislang am stärksten punkten konnten und ohne die ein Wahlerfolg bei der Bundestagswahl unmöglich ist – nämlich die über 60-Jährigen – beide Unzulänglichkeiten als potentielle Beeinträchtigung ihrer persönlichen Gesundheit und ihrer Freiheitsrechte wahr.

Die Absehbarkeit des CDU-Landtagswahlen-Debakels ändert also nichts daran, dass das Narrativ der CDU, sie verfüge sowohl über die meiste Regierungserfahrung auf allen politischen Ebenen als auch über die höchste Kompetenz für Pandemiebekämpfung und wirtschaftlichen Wiederaufbau, bei den Wählern derzeit eher Häme denn Zuversicht auslöst.

Die zu Beginn der Pandemie hohen Umfragewerte der Union in Kombination mit der Konzentration auf unausweichliche Personaldebatten ließen vergessen, dass am Ende der Ära Merkel vor allem in der CDU zwangsläufig inhaltliche und personelle Aufbauarbeit erforderlich wird. Die CDU war nie eine Programmpartei, aber ihr Erfolg beruhte in der Vergangenheit maßgeblich auf der Zuschreibung wirtschaftlicher Kompetenz auch in der breiten Öffentlichkeit. Das ist schon länger nicht mehr der Fall. Seit dem Ausbruch der Pandemie geht es jedoch nicht mehr „nur“ um die internationale Wettbewerbs- und damit die Zukunftsfähigkeit Deutschlands, sondern der Unmut über die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung reicht vom kleinen Einzelhändler, der an der Umsetzung der „atmenden Öffnungsmatrix“ (Markus Söder) verzweifelt, über Startups und Mittelstand bis in die Unternehmerverbände. Auch wenn die Aufmerksamkeitsregeln von Medien und breiter Öffentlichkeit dafür sprechen, dass die Maskenaffäre bald wieder in Vergessenheit gerät, so könnte der für die Union fatale öffentliche Eindruck bestehen bleiben, die Wirtschaftskompetenz von CDU/CSU äußere sich vor allem in der Aufgeschlossenheit einzelner Abgeordneter gegenüber lukrativen Nebeneinkünften.

Das Erfordernis einer zukunftstauglichen Neuerfindung ihres Wirtschaftssachverstands weist demnach Schnittstellen zu einer zentralen Funktion aller Parteien auf – der Rekrutierung künftiger Mandatsträger und politischen Führungspersonals. Auch dort lässt sich aus der Maskenaffäre Grundsätzliches lernen: Die Neigung zur moralisierenden Debatte über Sach- und Personalthemen macht relevante Teile der Öffentlichkeit noch unduldsamer gegenüber tatsächlichen oder vermeintlichen Verfehlungen ihrer Repräsentanten. Wer früher als gut vernetzter Jungpolitiker im Dunstkreis von Junger Union und Ortsverband hohe Wertschätzung erfuhr, muss inzwischen zur Kenntnis nehmen, dass gerade jüngere und urbane Wählerinnen und Wähler bei ihrer Wahlentscheidung völlig andere Kriterien anlegen – und nicht zuletzt Diversität mit Blick auf Geschlecht und Herkunft erwarten.

Ob zu all den damit verbundenen Aufgaben von Armin Laschet als CDU-Vorsitzendem die Chance hinzukommt, die Union in die Bundestagswahl zu führen, entschied sich am zurückliegenden Wahlsonntag natürlich nicht. Was der Kanzlerkandidat der Union leisten muss, damit CDU und CSU Aussichten haben, gemeinsam den Bundeskanzler zu stellen, dagegen schon. Voraussetzung für einen Wahlerfolg der Union dürfte die weitgehende Überwindung der Pandemie bis Mitte September 2021 sein. Allzu viel Einfluss darauf hat zwar keiner der Kanzlerkandidaten, angelastet würde die Fortsetzung des Debakels aber vor allem dem der Union.

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