Ochsentouren sind auch Klimakiller

Warum wir einen Neustart der Generationenbeziehungen brauchen

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Ochsentouren sind auch Klimakiller

Warum wir einen Neustart der Generationenbeziehungen brauchen

Steigende Mieten, sinkende Bildungsgerechtigkeit. Marodes Gesundheits-, marodes Pflege-, marodes Rentensystem. Klima­katastrophen von Australien bis Rheinland-Pfalz. Und jetzt sogar noch Krieg in Europa.

Obwohl die Pandemie gewissermaßen einen Stillstand der Zeit heraufbeschworen hat, veränderte sich gerade für junge Generationen in den vergangenen Jahren die Welt dramatisch schnell. Nicht nur sehen sie sich unzähligen neuen Unsicherheiten ausgesetzt, sondern auch der Werte, auf denen ihre Welt fest verankert war, beraubt, von ihren Vorgängergenerationen im Stich gelassen. Denn mit der Jugend ist es so: Nichts für sie zu tun, ist das Schlimmste, was man ihr antun kann.

Die Politik der Erwachsenengenerationen trägt Krisen seit vielen Jahren am liebsten auf dem Rücken der Jungen aus, – einer so kleinen Wählerinnengruppe, dass man meint, es sich leisten zu können, sie zu übergehen. Jüngstes Beispiel: Monatelang sollten Kinder in der Pandemie Rücksicht auf die Alten nehmen, sich Lesen und Schreiben zu Hause selbst beibringen. Sie verzichteten auf Laternenumzüge, Klassenfahrten und Schwimmabzeichen. Das Verhalten der Erwachsenen am Arbeitsplatz blieb derweil längstmöglich von Schutzmaßnahmen unberührt, vermeintlich systemrelevante Profifußballer ließen ungeniert die Korken knallen, Kreuzfahrttouristen auf dem Sonnendeck die Seele baumeln.

Regeln, geschaffen von denselben Erwachsenen, die den nun zu Hause eingesperrten Nachwuchs zuvor noch als Schulschwänzer beschimpft hatten, weil er für eine bessere Klimapolitik auf die Straße ging. Die Klimapolitik wiederum, die von den machthabenden Alten so mies gestaltet wurde, dass sogar das Bundesverfassungsgericht eingreifen musste. Und die uns abhängig gemacht hat von menschen- und völkerrechtsverachtenden Despoten. Jetzt befinden sich die Generationenbeziehungen auf einem Tiefpunkt – und bedürfen dringend neuer Verhandlungen auf allen Seiten.

Die Straße ist heute der Ort, an dem die Jungen sich Gehör verschaffen, der Ort, von dem sie nicht mehr wegzudenken sind. Dort verbringen sie nicht nur die Zeit, in der sie eigentlich Bildung, sondern auch die Zeit, in der sie ihre Freizeit, ihre Freiheit – ihre Jugend eben – genießen sollten. Sie machen ihrer Wut über die zukunftsfeindliche Politik Luft, sie präsentieren ihre Forderungen und Ideen für die Zukunft – damit ihnen endlich die zuhören, die sich eigentlich um das Wohl der jungen Generationen kümmern sollten.

Und die Alten? Die finden das manchmal lächerlich, manchmal so unverschämt, dass sie sich nicht scheuen, junge Aktivistinnen öffentlich zu diffamieren. Manchmal finden die Alten das Engagement der Jugend auch beeindruckend. Und allein damit ist Greta, Luisa und Co. schon eine Revolution des Verhältnisses der Generationen gelungen. Immerhin sehen Eltern jetzt, dass ihre Kinder Meinungen haben, Omis wollen für ihre Enkelkinder mitwählen, Unternehmen waschen ihr Gewissen grün. Die Jugend wird von den Alten nicht mehr komplett ignoriert. Traurigerweise ist das ein Fortschritt.

Zum Ärgernis vieler jugendskeptischer Älterer widerlegt Fridays for Future seit 2019 so ziemlich alles, was zuvor gerne als Fakt gegen die Ernsthaftigkeit der Jungen angeführt wurde. Diese jungen Leute beweisen, dass sie nicht nur meckern, sondern auch machen. Dass sie sich global vernetzen, mit Wissenschaftlerinnen zusammenarbeiten, ihre Anliegen verständlich in der Öffentlichkeit und selbstbewusst vor den Entscheidern der Weltgemeinschaft vortragen können. Und obwohl all diese Eigenschaften ein kompetenteres Profil bilden, als es viele Berufspolitikerinnen vorweisen können, bleibt die Repräsentanz der Jugend unter den entscheidenden Positionen vernichtend gering. Wie können wir das ändern?

Dass junge Menschen in Parlamenten und Parteien nicht sichtbar sind, heißt nicht, dass sie es nicht gerne wären. Häufig sind es alte, verkrustete Strukturen, die ihnen das Mitmachen verwehren: unflexible Organisationsformen, die nicht zur Lebensrealität der mobilen Jugend passen. Die Aufforderung der Älteren, doch erst einmal mehr Erfahrung zu sammeln, oft verbunden mit der politik­folkloristischen sogenannten Ochsentour, also dem Immer schön der Reihe nach, hat oft zur Folge, dass der Nachwuchs, bis er bewiesen hat, nicht mehr grün hinter den Ohren zu sein, schließlich selbst alt ist. In der Zwischenzeit waren die Posten nämlich noch besetzt, weil sich ihre Inhaber seit Jahrzehnten daran festklammern. Die Folge: Die Alten bleiben unter sich, diskutieren unter sich, entscheiden unter sich. Die Lebenswelten der Jungen sind ihnen fern, deswegen werden sie einfach vergessen. Selten hat sich das so deutlich offenbart wie seit Beginn der Pandemie.

Dabei vergessen die Alten auch das: Sie sind auf das Wohlwollen der Jungen angewiesen. Der Nachwuchs soll schließlich die Rente bezahlen, das (Familien-)Unternehmen und das Pflegesystem retten, Rücksicht nehmen, wenn mal wieder ein tödliches Virus grassiert, und die von den Alten verursachten Klimakatastrophen aufhalten. Wer so viel erwartet, muss auch selbst etwas anbieten.

Noch sind die Jungen sogar gewillt, den Trümmerhaufen, der ihnen von den Vorgängergenerationen hinterlassen wird, aufzuräumen. Doch wem nicht einmal Schadensbegrenzung für die eigene Zukunft zugestanden wird, dem fehlt früher oder später auch die Motivation, sich für den Ruhestand Anderer zu bemühen. Es ist also im eigenen Interesse der alten Generationen, die selbst geschaffenen Strukturen aufzubrechen, sich endlich auf ihren Nachwuchs zuzubewegen, einzusehen, dass es nicht immer die beste Option ist, Erfahrung an der Anzahl der Lebensjahre zu messen. Und dass Macht abgeben nicht automatisch Macht verlieren bedeuten muss – sondern möglicherweise auch Macht teilen. Deswegen: Senken wir das Wahlalter. Holen wir junge Menschen in Entscheidungsgremien. Wählen wir sie in unsere Parlamente. Und vergessen wir eines nicht: Generationensolidarität ist keine Einbahnstraße.

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