Öl, Macht, Migration

In Libyen spitzt sich die Lage erneut zu. Der Türkei und Russland kommen Schlüsselrollen zu

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SHUTTERSTOCK/ANTON MEDVEDEV
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Öl, Macht, Migration

In Libyen spitzt sich die Lage erneut zu. Der Türkei und Russland kommen Schlüsselrollen zu

Nach dem Ende des Krieges um Tripolis schweigen in Libyen weitgehend die Waffen. Doch der Krieg ist nicht vorbei. Die Ölfelder der Provinz Cyrenaika, die Haupteinnahmequelle des ölreichsten Landes Afrikas, könnten das nächste Ziel einer Regierungsoffensive sein. In der Region fürchtet man zudem, dass beide Kriegsallianzen nach einer Niederlage wieder in kleine und unkontrollierbare Milizen zerfallen könnten. Kommt jetzt eine UN-Friedens-Mission mit Bundeswehrbeteiligung?

Nach 15 Monaten Belagerung kehren viele der über 150 000 Flüchtlinge in ihre Häuser im Süden der libyschen Hauptstadt zurück. Doch bei der Explosion von zahlreichen Minenfallen und nicht explodierter Munition starben nach Berichten von Krankenhäusern alleine in den vergangenen zwei Wochen mehr als 65 Zivilisten.

Auch die Ruhe an der Front westlich der zentrallibyschen Stadt Sirte ist trügerisch. Die ehemalige Heimatstadt Muammar Gaddafis wird von den Truppen von Feldmarschall Chalifa Haftar kontrolliert. In wenigen Wochen musste Haftars Libysch-Nationale Armee (LNA) mehrere Städte aufgeben, von denen aus sie ein Jahr lang Tripolis angegriffen hatte.

Während Haftar weiterhin Ostlibyen und die dortigen Ölfelder hält, versucht sein Widersacher Fayez al-Sarraj, nun in Westlibyen seine Macht zu konsolidieren. Der international anerkannte Premierminister Sarraj gewann den Krieg mithilfe von vier großen Hauptstadt-Milizen, den Revolutionären der Hafenstadt Misrata und der Türkei. Deren Präsident Recep Tayyip Erdoğan hatte nach der Unterzeichnung eines militärischen Beistandsabkommens im November 2019 mehrere tausend syrische Söldner, Drohnen und Panzer geschickt.

Der offene Bruch des seit 2011 geltenden UN-Waffenembargos widerspricht den Beschlüssen der Berliner Libyen-Konferenz vom Januar dieses Jahres. Im Kanzleramt hatten sich Erdoğan, Wladimir Putin und andere Staatschefs darauf geeinigt, mit einem 55 Punkte umfassenden Plan auf einen Waffenstillstand hinzuarbeiten und keine weiteren Waffen an die libyschen Kriegsparteien zu liefern.

Doch direkt nach dem in Deutschland als Erfolg gefeierten Treffen registrierten die Spezialisten der Flugüberwachungswebseite Italmilradar aus Rom sogar einen Anstieg der Versorgungsflüge von Syrien nach Bengasi und Haftars Militärflughafen Al Khadim. Auch aus den Vereinigten Arabischen Emiraten kamen russische „Panzir“-Flugabwehrsysteme.

Nach Angaben gefangen genommener LNA-Kommandeure ließen französische Spezialisten für die Luftraumüberwachung die Pro-Haftar-Allianz gewähren, entgegen den Beschlüssen des Berliner Abkommens. Doch so offen wie die Regierung in Paris bekannte sich niemand für den selbst ernannten Feldmarschall.

„Für Frankreich, Russland, Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate war der Pakt mit dem für Ratschläge immunen 74-jährigen Haftar eher ein pragmatisches Geschäft. In Paris glaubt man, mit der LNA einen Partner für die Terrorbekämpfung in der Sahel-Region zu haben. Erdoğan und die Sarraj-Regierung sind hingegen strategische Partner. Türkische Firmen können nach dem Ende des Krieges auf Großaufträge hoffen“, sagt der politische Analyst Mohamed Eljahr aus Tobruk bei Bengasi.

Nach der Niederlage Haftars in Westlibyen will Russland eine ähnliche Rolle in Ostlibyen übernehmen und setzt nun auf das legitime Parlament. Die 2014 gewählten 200 Abgeordneten tagen nach Drohungen von Milizen in Tripolis mehrheitlich in Ostlibyen.

Ein Krieg um die Ölfelder könnte die Reihen beider Kriegsparteien wieder schließen. Doch der Krieg um Sirte, das Tor zum sogenannten Ölhalbmond in der Cyreneika, wäre auch ein Krieg zwischen der Türkei und Russland.

Zwar ist für Haftar nur die private Sicherheitsfirma Wagner im Einsatz. Doch der Chef des Afrika-Kommandos der US Armee (Africom), Stephen Townsend, sagte bei einem Besuch in dem libyschen Küstenort Zuwara in der vergangenen Woche, dass nun auch russische Armeeoffiziere im Einsatz seien. Mindestens 14 moderne MiG-29 Kampfflugzeuge sind laut dem von Stuttgart aus operierenden Townsend von Syrien aus auf den zentrallibyschen Militärflughafen Jufra verlegt worden. Libysche Kommandeure der Pro-Serraj-Einheiten berichten, dass der Sturm auf Sirte und Jufra mit türkischer Hilfe kurz bevorstehe.

Der türkischen Kontrolle von Sirte, und damit des libyschen Öls, will Ägyptens Sisi nicht tatenlos zuschauen. Nach einer Militärparade unweit der libyschen Grenze dankte er der ägyptischen Armee für ihre Einsatzbereitschaft „auch jenseits der ägyptischen Grenzen.“

Am Montag verließ ein langer Konvoi mit Scud-Mittelstreckenraketen Bengasi in Richtung Sirte.

Es liegt nun wohl in der Hand der russischen und türkischen Unterhändler, ob es zur Entscheidungsschlacht an der 2000 Kilometer langen Mittelmeerküste kommt. Europa scheint dabei keine Rolle mehr zu spielen.

Libyens ehemaliger Botschafter in Berlin, Aly Masednah El-Kothany, kann den alleinigen Fokus der EU-Politiker auf das Thema Migration im Zusammenhang mit Libyen nicht verstehen. „Alles was in Libyen, ein Land so groß wie Südeuropa, geschieht, hat starke Auswirkungen auf die Mittelmeer- und Sahara-Regionen. Für den mangelnden Willen, das Friedensabkommen von Shkirat in allen Punkten umzusetzen, zahlt die EU jetzt einen hohen Preis. Russland und die Türkei werden ihre ökonomischen Interessen im südlichen Mittelmeer durchsetzen.“

Vielleicht ist man in Berlin nun aufgewacht.

Bei der UNSMIL Mission in Tunis wird an einer Friedensmission für Zentrallibyen gearbeitet. Am Donnerstag forderte Norbert Röttgen (CDU), der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestags, Deutschland solle sich an der Überwachungsmission eines Waffenstillstandes beteiligen.

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