Tu uns das nicht noch einmal an. Mit Joe Biden kehrt die Hoffnung auf unseren wichtigsten Partner zurück
Tu uns das nicht noch einmal an. Mit Joe Biden kehrt die Hoffnung auf unseren wichtigsten Partner zurück
In wenigen Tagen wird der Albtraum Donald Trump vorbei sein.
Joe Biden ist der neue Präsident der USA – und steht vor einer Herkulesaufgabe, für die er nur wenig Zeit hat. Er selbst hat sich selbst als „Präsident des Übergangs“ bezeichnet. Am Ende seiner (ersten) Amtszeit im Januar 2025 wird er 82 Jahre alt sein. Die Demokraten werden also wahrscheinlich einen neuen Kandidaten – eine neue Kandidatin aufstellen müssen. Diese dürfte, ja, sollte aus heutiger Sicht die neue Vizepräsidentin Kamala Harris sein. Selbstverständlich wird auch sie sich dann in den primaries, den parteiinternen Vorwahlen durchsetzen müssen – ein Prozess, der einen weiten Teil des Jahres 2024 bestimmen wird.
Bereits im November 2022 finden die midterm elections, die wichtigen Zwischenwahlen statt, bei denen die Partei, die den Präsidenten stellt, häufig mit Verlusten rechnen muss. In den nächsten Wochen und Monaten müssen erst einmal zahllose Schaltstellen in Washington neu besetzt und so wichtige Institutionen wie das unter Trump und Außenminister Mike Pompeo bedrohlich verluderte Außenministerium wiederaufgebaut werden.
Vor diesem Hintergrund hat sich Biden ein gewaltiges Programm vorgenommen. Die grassierende Corona-Pandemie macht die Dinge noch schwerer. Und „Durchregieren“, wie manche Kommentatoren meinen, kann er auch nicht. Im politischen Alltag sind weder der Senat noch das Repräsentantenhaus festgefügte Einheiten und die demokratischen Mehrheiten denkbar knapp. Der linke Flügel der Demokraten wird seine Stimme erheben; der Trumpistenflügel bei den Republikanern macht die republikanische Opposition, gelinde gesagt, unberechenbar. Auch unter Biden und Harris wird es Fehler und Rückschläge geben. Und grundlegende Probleme werden weder in einer Amtszeit noch durch den Präsidenten allein gelöst werden können.
Worauf wir aber hoffen können: Biden und sein Team werden alles daransetzen, dass die amerikanische Politik zu Anstand, Vernunft und Berechenbarkeit zurückkehrt. Und dabei sollten wir dem amerikanischen Präsidenten helfen. Sein Erfolg liegt in unser aller Interesse.
Dazu gehört zunächst einmal, dass wir uns jedes besserwisserische Gehabe verkneifen. Es ist zumindest ärgerlich, dass ausgerechnet der deutsche Regierungssprecher sich bemüßigt gefühlt hat, die Sperrung des Twitter-Accounts Trumps zu kritisieren. Muss Berlin eigentlich zu allem seinen Senf dazu geben?
Aber auch mit den Spannungen und Spaltungen in ihrer Gesellschaft müssen die Amerikaner alleine fertig werden. Wohlfeile Ratschläge von außen sind nicht nur billig; sie bewirken auch nichts. Sodann sollten wir den Präsidenten aus vollem Herzen darin unterstützen und ermuntern, die USA wieder verlässlich in den internationalen Institutionen zu verankern. Ob es sich um das Pariser Abkommen zum Klimaschutz oder um die Welthandelsorganisation, das Iran-Abkommen oder die Nato, die Weltgesundheitsorganisation WHO oder wichtige Fragen der internationalen Finanzen und Steuern handelt – ein aktives und engagiertes Amerika würde einen enormen Gewinn darstellen.
Es ist nur vernünftig, überall dort der Stimme Europas selbstbewusst Geltung zu verschaffen. Das liegt auch im wohlverstandenen Interesse der USA. Es wäre aber zerstörerisch, wenn dies gegen Amerika geschähe anstatt in transatlantischer Partnerschaft. In geopolitischer Sicht – vor allem im Blick auf China und Russland – sollte die kleiner gewordene Welt der Grundrechte, des Rechtsstaats und der Demokratie enger zusammenrücken. Vielleicht kann neben dem Militärbündnis ja auch die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD)* dort einen organisatorischen Ansatzpunkt bieten. Schließlich ist sie einmal aus dem Marshallplan hervorgegangen.
Aber auch die USA eines Joe Biden werden uns in Europa und ganz besonders uns in Deutschland daran erinnern, dass wir ebenfalls unseren Beitrag zu einem umfassenden Interessenausgleich zu leisten haben. Wir sollten uns deshalb darum bemühen, die bestehenden Handelskonflikte zu bereinigen und zu einer fairen Lastenverteilung in der Nato zu kommen. In beiden Punkten gibt es nicht nur in Brüssel, sondern auch in Berlin noch viel zu tun.
Es bleibt zu hoffen und zu fordern, dass die Chancen, die die Präsidentschaft Bidens uns bietet, nicht im kleinlichen Hickhack des aufziehenden Bundestagswahlkampfs verschüttet werden.
Was meine Partei, die SPD, angeht, so kann man vor allen Träumereien vom „Abkoppeln von den Amerikanern“ nur eindringlich warnen. Das verständliche Entsetzen über Trump und seine Truppe darf auf keinen Fall zum „USA-Bashing“ ausarten. Eines habe ich von Willy Brandt und Helmut Schmidt gelernt: Letztendlich sind und bleiben die Vereinigten Staaten Europas wichtigster Freund und Partner.