Parlamentsreform

Tagesschau und Phoenix, Currywurst und Fußball – wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ihr Amt prägt. Ein Portrait

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PICTURE ALLIANCE/ZB/EUROLUFTBILD.DE | HANS BLOSSEY
Duisburg, ich komm aus dir, Duisburg, ich häng an dir. Oh Glück auf, Duisburg!
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Duisburg, ich komm aus dir, Duisburg, ich häng an dir. Oh Glück auf, Duisburg!

Parlamentsreform

Tagesschau und Phoenix, Currywurst und Fußball – wie Bundestagspräsidentin Bärbel Bas ihr Amt prägt. Ein Portrait

Das Café Museum in der Duisburger Innenstadt gilt als sozialdemokratisches Stammlokal: Holzvertäfelt, überdachte Terrasse, deutsche Küche. Regelmäßig finden dort SPD-Wahlpartys statt, es gibt Jubiläumsfeiern, Kulturabende, aber auch weichenstellende Gespräche.

„Es hat mich ein Abendessen gekostet, sie zu überreden“, erinnert sich der ehemalige Innenminister Nordrhein-Westfalens und langjährige Vorsitzender des SPD-Unterbezirks Duisburg Ralf Jäger an eine Begegnung im Jahr 2008. Mit Bärbel Bas hatte sich Jäger im Café Museum getroffen. Es ging um die Wahlkreisaufstellung und darum, dass Bas – in den Jahren zuvor zweimal knapp bei der innerparteilichen Auswahl gescheitert – es noch einmal versuchen sollte. „Ich musste sie schon überreden“, erinnert sich Jäger rückblickend. Denn: Bas war zwar mit 20 Jahren in die SPD eingetreten, hatte sich bei den Jusos und auch im Unterbezirksvorstand engagiert, war Mitglied im Stadtrat gewesen, doch nach den politischen Niederlagen hatte sie sich auf ihre Krankenkassen-Karriere konzentriert. Nach Hauptschulabschluss, Ausbildung zu Bürofachgehilfin und Jahren als Sachbearbeiterin war sie nun auf dem Sprung: „Ihr Weg hätte sie bestimmt auch in den Vorstand geführt“, war sich Jäger sicher. Doch er hatte Erfolg: Bas entschied sich für einen weiteren Versuch – und wurde ein Jahr später in den Bundestag gewählt. „Überzeugt hat mich letztendlich, dass ich Missstände, die mich geärgert haben, auch ändern wollte“, erinnert sich Bas gut ein Jahrzehnt später als Bundestagspräsidentin im Gespräch mit dem Hauptstadtbrief, „und da hat Ralf Jäger eben gesagt: Dann musst Du in den Bundestag.“ Dass ihr Weg sie dann bis an die Spitze des Parlaments und ins zweithöchste Staatsamt der Republik führen würde, kam überraschend: „Das war nicht mein Karriereplan“, so Bas, „innerhalb und außerhalb des Parlaments waren alle überrascht.“

Dabei war die heute 54-Jährige gut vorbereitet: Nach Jahren als Parlamentarische Geschäftsführerin sowie stellvertretende Fraktionsvorsitzende kannte sie sich bestens im Bundestag aus. In der Öffentlichkeit bekannter waren jedoch andere, beispielsweise Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach. Und es gab prominente Interessenten: SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich liebäugelte intensiv mit einem Sprung an die Parlamentsspitze. Da aber mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und Bundeskanzler Olaf Scholz bereits zwei herausragende Staatsämter mit SPD-Männern besetzt waren, fiel die Wahl auf eine Frau: eben Bärbel Bas. Fünf Tage vor ihrer Wahl wurde sie gefragt, sagte prompt zu – ohne zu zögern: „Wenn uns ein Amt angeboten wird, sagen wir ja“, hatten sich Bas und eine Fraktionskollegin geschworen, als sie – im Herbst 2021, während sich die neue Bundesregierung herausbildete – den Dokumentarfilm „Die Unbeugsamen“ über den Umgang mit Frauen in der männerdominierten Politik der Bundesrepublik gesehen hatten: „Nicht hinterfragen, nicht zweifeln. Wir fackeln nicht lange.“ Nach Annemarie Renger (1972-1976) und Rita Süßmuth (1988-1998) ist sie nun die dritte Frau in diesem Amt: „Das empfinde ich immer noch als etwas Besonderes“, sagt Bas, „aber ich möchte daran arbeiten, dass es nicht mehr so besonders ist.“ Aktuell hat sich das Verhältnis sogar gedreht: Bas sitzt einem von Frauen dominierten Präsidium vor. Einziger Mann: Wolfgang Kubicki (FDP). „Ich bin froh, dass er dabei ist“, sagt sie, „ich bin eine Anhängerin von gemischten Teams.“

Doch nicht nur das Gesamtbild des Bundestagspräsidiums hat sich verändert, auch der Kontrast an der Spitze ist groß: Wolfgang Schäuble und auch Norbert Lammert waren nicht nur Männer aus einer anderen Partei, jahrzehntelang im Parlament und bürgerlich wie akademisch sozialisiert. Sie umgaben sich auch mit einer intellektuellen Aura, die sich mit Charisma und rhetorischer Gabe zu einem hoheitsvoll-distanzierten Bild zusammenfügte. In seiner Abschiedsrede setzt sich Schäuble auch kritisch mit der Identitätspolitik auseinander („Verwechseln wir Repräsentation deshalb nicht mit Repräsentativität.“). Bas dagegen, deren Leben geprägt ist von einer Herkunft aus ärmeren Verhältnissen und in dem die Sozialarbeiterin über neue Schuhe entschied, entspricht einem anderen Typus: dem kämpferischen Aufstieg über Umwege, dem Weitermachen nach Niederlagen. Eine „sozialdemokratische Vorzeigekarriere“ attestierte ihr die Süddeutsche Zeitung. Hinzu kommen die Prägung und direkte, offene Art des Ruhrgebiets. Punkte, an denen sich ein politischer Paradigmenwechsel für das Amt andeuten: „Der Kontrast zu Schäuble und auch Lammert könnte kaum größer sein“, hat auch Karl-Rudolf Korte, Politikwissenschaftler von der NRW School of Governance in Duisburg, festgestellt. „Ihr Alleinstellungsmerkmal ist die verständliche Sprache. Das ist Programm und Stil gleichermaßen“, so Korte, „wenn die Bürger einen nicht verstehen, dann wenden sie sich ab.“ In Zeiten des Krieges, in denen Demokratien weltweit unter Druck geraten, in denen Verteilungskämpfe stärker werden und in denen es – nach Jahren der Großen Koalition – nun eine sichtbarere Opposition gibt, eine wichtige Errungenschaft.

Gerade darin läge, bei aller rhetorischen Stärke der Vorgänger, auch ein Unterschied: „Sie redet, um von der Bevölkerung verstanden zu werden, nicht um zitiert zu werden“, so beschreibt es Mahmut Özdemir, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium und Duisburger SPD-Parteichef. „Sie braucht weniger die Autorität des Amtes oder die Insignien der Macht.“ Er nennt sie eine „Projektionsfläche für die Menschen aus dem Volk“. Bas selbst beschreibt es so: „Nahbar zu sein, zuzuhören, aber auch deutlich und klar zu sprechen, war mir immer schon wichtig. Das möchte ich auch in diesem Amt nicht ablegen.“ In ihrer Zeit bei der Krankenkasse gab es dafür sogar einen Begriff: Zielgruppen-gerechte Ansprache. Nun möchte sie auch Bürgerräte an parlamentarischen Prozessen beteiligen.

Authentisch, nahbar, bodenständig: Es sind die immer gleichen Attribute, mit denen Bas beschrieben wird, egal, wen man fragt, sei es in der Bundesregierung, im Parlament, in der Partei oder im Wahlkreis. Und selbst beim Deutschen Fußball-Bund: Mit Frauen-Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg bestritt Bas einst zwei Spiele zusammen, war früher Linksaußen und Libero. Und als sie – mit Bundeskanzler Scholz und Bundesinnenministerin Nancy Faeser – im Sommer die Mannschaft beim Europameisterschaftsfinale in Wembley besuchte, gab es auch dort eine starke persönlich-biographische Verbindung. Zumal auch Voss-Tecklenburg in Duisburg geboren ist. Die Stadt im Ruhrgebiet ist noch immer zentral für Bas: Dort wurde sie geprägt, dort ist sie verankert. „Wenn ich 14 Tage in Berlin war, muss ich einmal zurück“, sagt Bas selbst. Während sich fast all ihre Vorgänger an der Parlamentsspitze durch vorherige Regierungsämter bereits ein wenig vom Wahlkreis emanzipiert hatten, ist Bas noch immer Wahlkreisabgeordnete – und nimmt die Aufgabe ernst. Die Bundestagsverwaltung stellt dies – angesichts vieler Nachfragen – durchaus vor Probleme. Ihre direkte Kollegin dort, die SPD-Landtagsabgeordnete Sarah Philipp, bringt es auf folgende Formel: „Wenn man die Frage stellt, wo man die Bundestagspräsidentin sieht, werden viele sagen: Abends in der Tagesschau oder bei Phoenix“, so Philipp. „In Duisburg werden viele sagen: Beim Fußball und bei einer Currywurst.“ Philipp hat Bas zuletzt bei Viktoria Buchholz gesehen. Im August. „Sie nimmt ihren Gegenüber immer ernst“, sagt Philipp. „immer auf Augenhöhe. Völlig egal, wer da steht.“

Aber: Zwingt die neue Funktion nicht dazu, ein wenig loszulassen? Kann eine Bundestagspräsidentin immer auf Augenhöhe sein? „Ich weiß natürlich um die Bedeutung des Amtes“, sagt Bas selbst, „und auch um die repräsentative Funktion.“ Dazu gehören nun auch verstärkt Auftritte im Ausland: Antrittsbesuche führten sie – unter anderem – nach Frankreich, Israel, Polen und Italien. Doch die größte Aufmerksamkeit bekam ihre Reise in die Ukraine. Aufgrund der Spannungen zwischen Bundespräsident Steinmeier und der ukrainischen Regierung, die die Beziehungen beider Länder belasteten, besuchte Bas am geschichtsträchtigen 8. Mai das Land im Kriegszustand. „Da war sie der Türöffner für den Bundespräsidenten“, sagt Korte, „und hat maßgeblich zur Entspannung beigetragen.“

Dass diese neue Sichtbarkeit auch Angriffsfläche mit sich bringt, musste auch Bas schon feststellen: Im April – wenige Wochen nach Kriegsbeginn – kursierte ein Foto, das Bas zusammen mit Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht auf Sylt zeigte. Urlaub machen – trotz Krieg? Lambrecht sah sich sogar Vorwürfen ausgesetzt, Privates und Berufliches verquickt zu haben. Aber auch der Bas-Besuch sorgte für Verwunderung. „Erstaunlich, denn seit vielen Jahren bin ich mit meinem 2020 verstorbenen Mann über Ostern nach Sylt gefahren“, sagt Bas. „Nach zwei Jahren Pandemie wollte ich einfach wieder hin, weil ich damit schöne Erinnerungen verbinde.“ In der schnellen Skandalisierung sieht sie ein Problem, sagt aber auch: „So etwas muss man in einem politischen Amt eben im Hinterkopf haben. Ich bin jetzt nicht mehr nur Bärbel Bas.“

Wie groß jedoch die Veränderungskräfte in so einem Amt sind, hat auch Bas’ einstiger Förderer in Duisburg, Ralf Jäger, erlebt. Als er nach sieben Jahren als NRW-Innenminister im Jahr 2017 sein Amt verlor, berichtete er später – nicht ohne Selbstironie – von seiner ersten Erfahrung ohne Dienstwagen: „Man steigt hinten rechts ins Auto ein“, so Jäger, „und vorne links fährt keiner los.“ Aber auch dort hat Bas einen Vorteil – sie fährt Harley: „Wenn alles zu viel wird, setze ich mich auf mein Motorrad und fahre los“, sagt sie: „Dann kann ich auch fast anonym sein.“

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