Aneinander vorbeireden: Warum an Begriffsarbeit kein Weg vorbeiführt. David Ranan hat das politische Buch der Stunde vorgelegt
Aneinander vorbeireden: Warum an Begriffsarbeit kein Weg vorbeiführt. David Ranan hat das politische Buch der Stunde vorgelegt
Worte sind mächtig. Das weiß jeder. Vielfach sind sie mächtiger als Taten. Um wie viel mächtiger, hängt davon ab, in welchen Kontexten und zu welchen Zwecken sie verwendet werden. In pluralistischen Gesellschaften kann ihre Verwendung ziemlich komplex werden, weil die unterschiedlichen Milieus je nach Sozialisation, Lebensauffassung oder Haltung Wörter ganz unterschiedlich verstehen und vor allem bewerten.
Will man Begriffe gezielt einsetzen, um bestimmte Assoziationen hervorzurufen, was möglich ist, weil man Wörter eben so oder anders verstehen kann, wird es noch komplizierter. Wenn AfD-Politiker von „Heimat“ sprechen, schwingt anderes mit, als wenn Vertreter der Grünen versuchen, diesen Traditionsbegriff wieder in den Bereich ihrer Deutungshoheit zurückzuerobern. Und trotzdem fragt man sich: Kann man das Wort „Heimat“ heute noch guten Gewissens verwenden? Darüber ließe sich zumindest streiten. Im August geht der Bundestagswahlkampf in seine heiße Phase, da wird man – wieder einmal – sehr genau beobachten können, welche Wörter auf welchen Wegen zu politischen „Kampfbegriffen“ mutieren.
Wörter machen Launen
Zeitlich klug hat der Politikwissenschaftler und Antisemitismusforscher David Ranan einen Aufsatzband herausgegeben, der sich genau dieser Problematik widmet, und ihn mit „Sprachgewalt“ überschrieben. Er sucht Antworten auf Fragen ungeheurer Relevanz: Welche Begriffe werden wann von wem wie benutzt? Wo kommen sie eigentlich her? Welche Assoziationen wecken sie bei wem? Und: Wann werden sie bewusst eingesetzt, um bei ihren Rezipienten ganz bestimmte Reaktionen zu provozieren?
Für sein Vorhaben hat Ranan eine illustre Reihe 28 namhafter Autoren gewinnen können, Philosophen, Politologen, Soziologen, Erziehungswissenschaftler und Historiker, die sich jeweils mit einem Begriff auseinandersetzen und dessen Bedeutungsgeschichte nachvollziehen. Unter den fast 30 Begriffen befinden sich – natürlich – viele, die vor allem eines eint, das Suffix „ismus.“ Populismus, Patriotismus, Antisemitismus, Rassismus, Kolonialismus oder auch Kosmopolitismus, um nur einige von ihnen zu nennen. Doch auch andere Wörter werden in diesem Essay-Band nicht nur etymologisch aufgearbeitet: Märtyrer, Gender, Intellektuelle, Freiheit oder auch Elite.
Wie Ranan schreibt, hätten einige von diesen Begriffen durchaus „ein ideologiefreies Leben führen können, wären sie nicht von einem ganz bestimmten Deutungsrahmen belastet worden“. Dazu zählen Begrifflichkeiten wie Elite, Heimat oder Volk – die je nach Kontext, Verwender oder Adressat ihre Farbe wechseln. Doch gibt es nach Ranan auch andere Kategorien; Wörter etwa, die (noch?) weitgehend unstreitig positiv schwingen wie Freiheit, Demokratie oder Wahrheit, aber auch solche, die nur von ihren glühenden Anhängern positiv bewertet, von ihren Gegnern indes negativ konnotiert und mitunter auch appellativisch abwertend eingesetzt werden – Kommunismus etwa oder Sozialismus. Sogar der Begriff des Zionismus fiele in diese Kategorie.
Die da oben
Ein Beispiel: An dem Begriff Elite lässt sich – noch halbwegs unverfänglich in den bedrohlichen Untiefen politisch korrekten Sprachgebrauchs – nachvollziehen, wie schillernd Wörter werden können. Ist Elite gut oder schlecht? Bedeutet sie die Ausgrenzung anderer zur Verfolgung individueller oder spezifisch kollektiver Vorteile? Oder wäre der Begriff im allgemeinen Sprachgebrauch nicht vielmehr so positiv zu verstehen, wie man ihn deutete, wenn er auf das Erfinderpaar des ersten Impfstoffs gegen Covid-19 bezogen würde? Ugur Sahin und Özlem Türeci gehören zweifelsohne zur Wissenschaftselite, ohne die nicht nur wissenschaftlicher, sondern auch gesellschaftlicher Fortschritt gar nicht möglich wäre. Häufig aber wird „Elite“ mehr als nur naserümpfend eingesetzt, um Personengruppen als unsozial zu diskreditieren. Woran liegt das? Wahrscheinlich daran, dass Eliten als politisches Feindbild so ungemein tauglich sind. Meistens sind ja politische oder wirtschaftliche Eliten gemeint, die weniger zugunsten aller, als vielmehr auf den eigenen Vorteil bedacht handeln. Oder die sich zumindest solcher Interessen sehr gut bezichtigen lassen.
Politischer Selbstbefragungsbogen
Bei diesem Buch könnte man sich den Spaß erlauben, die Lektüre der einzelnen Beiträge mit einer kurzen Selbstprüfung zu beginnen. Entscheidet man sich für einen Begriff, über dessen Deutungszusammenhänge man etwas wissen möchte, so überlege man zunächst, welche Assoziationen er bei einem selbst weckt oder mit welcher Konnotation er im höchst persönlichen Begriffsverständnis verankert ist. Wenn man sich dann der Lektüre widmet, fördert diese in jedem Fall Spannendes zutage.
Wieder ein Beispiel: Zu dem Begriff Patriotismus hat die Historikerin Marion Detjen einen interessanten Text geschrieben. Zunächst scheint alles noch ganz einfach. Patriotismus sei der nützliche, wohlgeratene Bruder des bösen Buben Nationalismus. Nicht die gesteigerte, sondern die gemäßigte Vaterlandsliebe. Aber schon da wird es kritisch: Vaterlandsliebe – inzwischen auch ein Kampfbegriff, der sehr wohl negativ verstanden werden kann. „Ich selbst habe einmal versucht, den Patriotismus durch Abgrenzung vom Nationalismus zu retten“, schreibt die Autorin. Immerhin überlasse es der Patriotismus einem selbst, was man an seiner Heimat – womöglich auch schon ein Kampfbegriff –, der man sich zugehörig fühle, besonders liebe. Und wenn es nur der Fußball ist. Trotzdem: Wer würde sich hierzulande schon als Patriot bezeichnen, nur weil er im Fußballstadion Deutschlandfahnen schwenkt? In England sieht das ganz anders aus.
Wenn Rechtspopulisten von Patriotismus sprechen, ist man schnell unangenehm berührt, weil sie darin den Bezug zu einer ethnisch-kulturellen Schicksalsgemeinschaft enthalten sehen. Andersherum: Bezeichnet sich einer als Patriot, läuft er Gefahr, genau dahingehend missverstanden zu werden. Ganz so einfach verhält es sich mit diesem Begriff also nicht. Es liege an uns, schreibt Detjen in ihrem Aufsatz, zu sagen, worauf sich unser Patriotismus beziehe.
Let’s talk about – the details
Genau das gilt für die meisten Begriffe, die in diesem Buch diskutiert werden. Darüber könne dann freilich gestritten werden. Vielleicht ist das einer der Leitsätze dieser aufschlussreichen Zusammenstellung: die Aufforderung zum politischen Streiten. Doch lohnt der Streit nur, wenn man sich der Bedeutung einzelner Begriffe in ganz unterschiedlichen Kontexten ihrer Positionierung bewusst ist.
„Diejenigen, die die Bedeutung von Wörtern zu kodifizieren versuchen, kämpfen einen verlorenen Kampf, denn Wörter, wie die Ideen und Dinge, die sie bedeuten sollen, haben eine Geschichte“. Das schrieb die amerikanische Historikerin Joan Wallach Scott schon Mitte der 1980er-Jahre und wird mit diesem Satz in Ranans Buch zitiert. Scott machte diese Aussage seinerzeit an dem Begriff „Gender“ fest. Doch ist ihre Feststellung weit darüber hinaus zutreffend. Sie ist aktueller denn je.