Perlen- und Sauereientaucher

Preisfrage des Jahrzehnts: Was tun gegen Hass, Hetze und Falschinformationen in sozialen Medien?

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ISTOCK.COM/ROYYIMZY
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Perlen- und Sauereientaucher

Preisfrage des Jahrzehnts: Was tun gegen Hass, Hetze und Falschinformationen in sozialen Medien?

Bei der Bahn hieße es „Störungen im Betriebsablauf. Die virtuellen Parteitage von Union und FDP in diesem Frühjahr sahen sich DDoS-Angriffen ausgesetzt: Distributed Denial of Service, also quasi eine geplante Blockade des virtuellen Austauschs von Daten. Auf Grund des Einsatzes vielfältiger Medien, nicht nur des Internets, konnten beide Parteitage das ohne größere Schäden überstehen. Experten vermuten als Urheber russische Quellen, eine endgültige Bewertung steht noch aus.

Desinformationskampagnen aller Art haben in den vergangenen Jahren stark zugenommen, „erfolgreich“ in der Brexit-Kampagne und im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016, weniger durchschlagend 2017 bei dem Versuch, Marine Le Pen ins französische Präsidentenamt zu hieven. Im deutschen Wahlkampf widerfährt am meisten Hass und Häme derzeit Annalena Baerbock, 17,8 Prozent aller Angriffe richten sich gegen die grüne Kanzlerkandidatin. Auch dort ist noch ist unklar, welche Quellen dahinterstecken. (Olaf Scholz folgt mit weitem Abstand mit lediglich 3 Prozent.)

Der Verfassungsschutz erwartet in Deutschland verstärkte Aktivitäten vor allem unmittelbar vor und nach der Wahl – ein mögliches Motiv: Man möchte erreichen, dass die Sanktionen gegen Russland wegen der Annexion der Krim und der Ukraine-Krise beendet werden. Tim Stuchtey vom Brandenburger Institut für Gesellschaft und Sicherheit warnt vor Blauäugigkeit. Mit Blick auf die wachsende Bedrohung der Demokratie durch soziale Medien erinnert er daran, dass zu wenig Konsequenzen aus den Ereignissen der vergangenen Jahre beispielsweise im Finanzbereich gezogen wurden. Ähnliches spiele sich gerade auch im Bereich der Regulierung der Tech-Riesen ab. „Die Spaltung und die Radikalisierung wächst in Europa.“

Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der nordrhein-westfälischen Landesanstalt für Medien ergab, 82 Prozent der Internetnutzerinnen befürchten, dass Desinformationen die Bundestagswahl beeinflussen könnten und damit unsere Demokratie bedrohen.

Das Geschäftsprinzip der Social-Media-Plattformen wie Facebook, Google, Twitter, TikTok funktioniert über Empörung. Je mehr Empörung, desto mehr Nutzer. Die geheimen Algorithmen der Plattformen saugen die Daten dieser Nutzer ab. Das wieder ermöglicht zielgenaue Werbung für Konsumgüter wie für politische Ideen. 80 Millionen Facebook-User wurden so im US-Wahlkampf 2016 von Cambridge Analytica illegal zu Helfern Donald Trumps gemacht. Würde die Wiederzulassung Trumps auf den Plattformen zu seinem Comeback 2024 beitragen?

Auf das Jahr 2024 schaut auch das Europaparlament. Seit Juni 2020 sucht ein Sonderausschuss Mittel und Wege, die Demokratie gegen die Angriffe via Social Media zu verteidigen. Parallel zum Aufbau dreier strategischer Abteilungen im Rat der EU zur Abwehr von Falschinformationen (vordringlich aus Russland) seit dem Jahr 2015, macht inzwischen auch das Parlament Druck und fordert mehr Personal und mehr Geld für diese Aufgabe. Keine Frage, 40 Mitarbeiterinnen sind zu wenig, um die vielfältigen Angriffe aufklären zu können. In einem Zwischenbericht fordert der Ausschuss, die EU müsse endlich dazu fähig sein, nicht nur auf Hass und vorsätzliche Falschmeldungen zu reagieren, sondern sie müsse auch in der Lage sein, besser als bisher präventiv tätig zu werden. „Es besteht erheblicher Handlungsbedarf, die in der EU sehr unterschiedlichen Regulierungsschritte für soziale Medien zu wirksamen Instrumenten gegen Wahlmanipulation zu machen“, so Ausschussmitglied Andreas Schieder von den Österreichischen Sozialdemokraten.

Eine Initiative von 22 Organisationen auf Anregung der Berliner „Stiftung Neue Verantwortung“ forderte die deutschen Parteien jüngst zu einem gemeinsamen Abkommen für fairen Wahlkampf im Internet auf: „Campaign Watch“, unterstützt vom DGB, der Deutschen Journalisten-Union, „Reporter ohne Grenzen“ und vielen anderen. Die Parteien konnten sich nur auf eine dünne gemeinsame Plattform einigen. Die AfD lehnte eine Beteiligung ab. Die Wahl gilt in Deutschland nach wie vor als sicher, so Bundesinnenminister Horst Seehofer. Die Stimmzettel sind aus Papier, die Auszählung ist komplett transparent und es gebe keine Schlupflöcher für internetbasierte Manipulationsversuche. Dennoch warnt der jüngste Verfassungsschutzbericht, dass „Hauptakteure der Einflussnahme gegen Deutschland“ die „Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei“ seien. „Dabei bestimmen die innen- und außen- sowie wirtschaftspolitischen Ziele dieser Länder die Schwerpunkte der Aktivitäten ihrer jeweiligen Dienste.“

In den Wahlkämpfen der vergangenen Jahre zeigte sich, dass soziale Medien und Messengerdienste wie Telegram, WhatsApp und Signal für die zielgenaue Ansprache der Wähler immer wichtiger werden. Das gilt besonders für die 18- bis 29-Jährigen. Eine bisher unveröffentlichte Studie von Forsa und der Universität Hohenheim zeigt, dass bei jüngeren Wählerinnen sowie bei den Wählern von AfD und der Linken Informationen aus dem Internet eine wesentlich größere Rolle bei der Wahlentscheidung spielen als bei allen anderen. Für 26 Prozent aller Befragten spielt Facebook eine wichtige Rolle, gefolgt von YouTube und Instagram.

Diesen Eindruck bestätigt auch der SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans gegenüber dem Hauptstadtbrief: „Die Bedeutung der Social Media nimmt zu, während die Bedeutung der Zeitungsinterviews nicht mehr so stark ist. Überragend bleibt aber das Fernsehen als Medium auch im Wahlkampf.“

Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz soll Auswüchse verhindern, gibt aber den Plattformen sieben Tage Zeit, Hass-Postings zu löschen. Eine unabhängige Kontrolle ist nicht möglich. Userinnen müssen jene Posts oder Falschinformationen melden, erst dann werden die Plattformen tätig. Einblicke in die Funktionsweise der Algorithmen, die die Technikplattformen verwenden, sind nicht möglich.

Es gibt Hilfen wie den faktenfinder-Podcast der ARD, der Muster der Desinformation aufzudecken versucht. Es gibt vielfältige Kooperationen, das stiftungsfinanzierte Recherchezentrum Correctiv mit Sitz in Essen etwa, das dabei hilft, Desinformationen aufzudecken. Gleichwohl, Nutzungszahlen und Bekanntheitsgrad sind derzeit noch, gelinde gesagt, unterentwickelt.

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