Moskau hat es in der Hand, die Einstufung der NGOs als unerwünscht zurückzunehmen
Moskau hat es in der Hand, die Einstufung der NGOs als unerwünscht zurückzunehmen
Der „Petersburger Dialog“ hat sich seit seiner Gründung immer als Gesprächsformat verstanden, das die Beziehungen zwischen Russland und Deutschland verbessern und voranbringen will, insbesondere auf der Ebene der beiden Zivilgesellschaften. Dafür wirken über 300 engagierte Mitstreiter:innen auf russischer und deutscher Seite mit – und das dankenswerterweise unerschütterlich und teils schon über viele Jahre.
In dieser Zeit überschattete eine Reihe von schwerwiegenden politischen Ereignissen in Russland unsere zivilgesellschaftliche Arbeit. Damit stellte sich auch vereinzelt die Frage nach deren Sinnhaftigkeit. Die widerrechtliche Annexion der Krim, der mit Waffen ausgetragene Konflikt in der Ostukraine, die immer neuen Gesetze, um die Opposition im Lande klein zu halten – all das stellte und stellt auch den „Petersburger Dialog“ anhaltend vor enorme Herausforderungen.
Die Situation in Russland hat sich zugespitzt und das deutsch-russische Verhältnis damit in eine weitere, noch tiefere Krise gestürzt. Was wir aktuell erleben, das erschüttert das Fundament unseres dortigen zivilgesellschaftlichen Engagements.
In den ersten Monaten dieses Jahres passierte leider Entscheidendes, was die Arbeit des „Petersburger Dialogs“ extrem belastet und jetzt sogar aktuell unmöglich macht und zu deren Aussetzung geführt hat. Da sind die Verhaftung und das gegen rechtsstaatliche Prinzipien verhängte Urteil gegen Alexej Nawalny. Das Urteil gegen Nawalny hatte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bereits 2017 als „willkürlich“ und Verstoß gegen das Recht auf ein faires Verfahren eingestuft. Russland ist Mitgliedstaat des Europarats, hält sich jedoch weder an die Europäische Menschenrechtskonvention noch an Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte.
Ich erinnere an das ungeheuer harte Vorgehen der Milizen gegen Demonstrant:innen, die sich auf den Straßen und Plätzen Russlands für Alexej Nawalny einsetzten und dafür inhaftiert wurden.
Mit immer neuen Gesetzen versucht die russische Staatsduma, die Meinungs- und Versammlungsfreiheit der Bürgerinnen,Bürger sowie von Organisationen einzuschränken. Viele Nichtregierungsorganisationen (NGOs) werden in ihrer Arbeit behindert und kriminalisiert. Als „ausländischer Agent“ gilt in Russland, wer aus dem Ausland finanzielle Unterstützung erhält und politisch tätig ist. Dafür werden Listen mit „unerwünschten ausländischen Organisationen“ geführt. Wer dort aufgeführt ist, dem drohen bei Zuwiderhandlung nicht nur das Ende der Arbeit, sondern drakonische Haftstrafen.
34 internationale Organisationen sind mittlerweile betroffen. Darunter – nach dem jüngsten Beschluss der russischen Generalstaatsanwaltschaft Ende Mai – auch drei Mitglieder des „Petersburger Dialogs“ auf deutscher Seite. Das Zentrum Liberale Moderne und der Deutsch-Russische Austausch stehen seit Ende Mai auf der Liste der in Russland unerwünschten Organisationen. Bereits seit Längerem „unerwünscht“ ist die in Berlin ansässige European Platform for Democratic Elections (EPDE).
Natürlich haben all die Vorgänge mit den bevorstehenden Wahlen zu tun. Im September wird die Staatsduma der Russischen Föderation gewählt, das Parlament.
Als Vorstand des „Petersburger Dialogs“ haben wir diesen unerträglichen Umgang mit deutschen Nichtregierungsorganisationen auf das Schärfste verurteilt, genauso wie die Verhaftung Nawalnys.
Als erste Reaktion haben wir deshalb entschieden, die für Juli in Moskau geplante gemeinsame Vorstandssitzung mit der russischen Seite des „Petersburger Dialogs“ abzusagen. Nach Monaten des rein virtuellen Austauschs angesichts der Corona-Pandemie sollte uns das persönliche Treffen eigentlich wieder einander näherbringen. Das verbietet sich in dieser Situation.
Wir setzen auf eine Rückkehr zu Dialog und Miteinander, basierend auf den demokratischen Grundwerten. Über die Jahre haben wir hautnah erfahren, dass wir nur über eine vertiefte und ausgeweitete Zusammenarbeit zwischen den Zivilgesellschaften unserer Länder zu gegenseitigem Vertrauen und offenen Diskussionen kommen.
Wann wir wieder einen Kurs des Dialogs einschlagen können, das hat jetzt allein die russische Seite in der Hand. Unsere Erwartung ist glasklar: Unsere dem „Petersburger Dialog“ angehörenden NGOs müssen umgehend von der Einstufung als „unerwünscht“ befreit werden. Die russische Seite kann und darf nicht bestimmen, wer auf deutscher Seite zu diesem Dialog gehört.
Für Mitte Oktober planen wir unsere diesjährige Hauptveranstaltung, den 19. „Petersburger Dialog“. Das Treffen soll in Kaliningrad stattfinden. Eine Spaltung unseres gemeinsamen Gesprächsforums in „erwünschte“ und „unerwünschte“ Mitglieder und Organisationen ist nicht akzeptabel. Die Russen haben es in der Hand, dies zu ändern.
Der „Petersburger Dialog“ kann seinen Aufgaben nur dann nachkommen, wenn alle seine Mitglieder nicht nur an Gremiensitzungen, sondern an der zivilgesellschaftlichen Zusammenarbeit mit Partner:innen des anderen Landes teilnehmen können.