Projektentwickler, Arbeitstitel Terror

Nach dem Abzug: Welche Gefahren gehen für den Westen von Afghanistan aus?

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ZUMAPRESS.COM | SRA TAYLOR CRUL/U.S. AIR
Exit Kabul: Mit dem Abzug der US-Streitkräfte Ende August übernahmen die Taliban wieder die Macht in Afghanistan
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Exit Kabul: Mit dem Abzug der US-Streitkräfte Ende August übernahmen die Taliban wieder die Macht in Afghanistan

Projektentwickler, Arbeitstitel Terror

Nach dem Abzug: Welche Gefahren gehen für den Westen von Afghanistan aus?

Die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan könnte innerhalb eines bis eineinhalb Jahren auch negative Konsequenzen für die Sicherheit in Europa haben – so die Schlussfolgerung einer Expertendiskussion des Instituts für Religionsfreiheit und Sicherheit in Europa (IFFSE). Das gelte vor allem für den sogenannten Islamischen Staat (IS), der in zwei Provinzen des Landes mittlerweile eine starke Präsenz aufgebaut habe. Auch die Terrorgruppe al-Qaida, die bereits vor zwei Jahrzehnten in Afghanistan Unterschlupf gefunden hatte, könnte wieder an Zulauf gewinnen.

Die Lage sei derzeit sehr unübersichtlich, so Hassan Abbas von der National Defense University in Washington. Von den Taliban, die Ende der 1990er-Jahre an der Macht waren, sei nur noch eine kleine Gruppe übrig. Die meisten der heutigen Mitglieder seien damals Kleinkinder oder noch nicht am Leben gewesen. Viele der lokalen Kommandeure, die das Erscheinungsbild der Gruppe vor Ort bestimmten, seien völlig unbekannt.

Hinzu kommt, dass innerhalb der Gruppe ein Machtkampf tobe, so Hassan. Statt einer einzigen, in sich kohärenten Gruppe müssen man aktuell von „fünf oder sechs Taliban“ sprechen, die miteinander um Einfluss und Deutungshoheit kämpften. Die momentan wichtigste Fraktion sei das sogenannte Haqqani-Netzwerk, das für viele der tödlichsten Anschläge auf westliche Truppen in den vergangenen zwanzig Jahren verantwortlich war.

Laut Katherine Zimmerman, einer al-Qaida-Expertin des American Enterprise Institute, verfüge das Haqqani-Netzwerk über jahrzehntelange Beziehungen zu al-Qaida und stehe der internationalen Terrorgruppe ideologisch näher als der Rest der Taliban. Es sei deshalb unmöglich, klar zwischen den Taliban und al-Qaida zu trennen. Durch die Haqqanis, so Zimmerman, hätten die Taliban „eine ständige Verbindung zum internationalen Dschihad“.

Dies sei auch der Grund, weshalb der Westen in Verhandlungen mit den Taliban vorsichtig sein müsse. Die Taliban, mit denen westliche Diplomaten aktuell im arabischen Golfstaat Katar verhandeln, seien Vertreter der älteren und vergleichsweise gemäßigten Fraktion, so Hassan. Im internen Machtkampf sei diese Gruppe den Haqqanis unterlegen, was bedeute, dass ihr Einfluss innerhalb Afghanistans stark zurückgegangen sei.

Hassan meint, dies sei auch der Grund, weshalb der Westen bislang keinerlei Fortschritte erzielt habe. Die Taliban seien nicht dazu bereit, ihre Regierung durch Vertreter religiöser Minderheiten zu verbreitern oder die Rechte von Frauen zu garantieren. Und statt sich eindeutig vom al-Qaida und dem internationalen Terror zu distanzieren, hätten sie den Anführer der Haqqanis zum Innenminister gemacht.

Weder der Westen noch die Nachbarstaaten verfügten derzeit über viel Einfluss, so Hassan. Selbst Katar, das die Taliban jahrelang unterstützt und ihre Präsenz in dem Golfstaat finanziert habe, sei relativ machtlos.

Die Teilnehmer der Diskussion identifizierten vier Entwicklungen, die Europa in den nächsten Jahren gefährlich werden könnten. Die unmittelbarste hiervon, so Asfandyar Mir, ein Südasienexperte des United States Institute for Peace, sei die Propagandawirkung, die der Sieg der Taliban auf Dschihadisten in der ganzen Welt habe. Nach Jahren der Misserfolge und Stagnation gebe es jetzt wieder ein erfolgreiches „Staatsprojekt“, mit dem sich Dschihadisten identifizieren könnten. Durch die Bewegung gehe momentan „ein Ruck“, und dies könne zu mehr Anschlägen im Westen führen.

Die zweite Gefahr sind terroristische Auslandskämpfer, die nach dem Ende des sogenannten Kalifats in Syrien und im Irak jetzt einen neuen Anlaufpunkt bekommen könnten. Laut Mir gebe es in Afghanistan bereits eine kleine Zahl von westlichen und zentralasiatischen Auslandskämpfern, die meist zum IS gehörten. Ihre Zahl könnte in den nächsten Monaten und Jahren deutlich zunehmen, wenn es den Taliban nicht gelänge, den IS effektiv zu bekämpfen.

Eine dritte Gefahr ist, dass Afghanistan wieder zum Dreh- und Angelpunkt für die Operationen von al-Qaida wird. Genauso wie in den 1990er-Jahren, so Zimmerman, könnten die Taliban – und speziell das Haqqani-Netzwerk – der Gruppe Unterschlupf gewähren und ihr erlauben, von Afghanistan aus internationale Operationen – wie damals die Anschläge vom 11. September 2001 – vorzubereiten.

Klar sei allerdings auch, so der dänische Terrorismusexperte Tore Hamming, dass weder die Taliban noch al-Qaida derzeit Interesse daran hätten, das neugewonnene Rückzugsgebiet schnell wieder aufs Spiel zu setzen. Wenn überhaupt, dann sei die Bedrohung durch eine Allianz zwischen Taliban und al-Qaida eine langfristige.

Hamming glaubt, dass die größte Gefahr in Afghanistan vom IS ausgeht. Dieser sei in den letzten Monaten zu einer ernsthaften Bedrohung für die Macht der Taliban geworden. Seine Kämpfer seien frustrierte Mitglieder der Taliban, die viel Wissen über die Gruppe besäßen und erfolgreich dabei seien, überall im Land neue Strukturen aufzubauen. Der IS sei nicht nur die brutalste Terrorgruppe in Afghanistan, sondern auch diejenige, die am internationalsten orientiert sei. Für den IS insgesamt sei der Erfolg in Afghanistan von entscheidender Bedeutung.

Die Experten waren unterschiedlicher Meinung, ob dies bedeute, dass der Westen die Taliban beim Kampf gegen den IS unterstützen solle. Während Hamming argumentierte, dies sei dringend notwendig, um Gefahren vom Westen abzuwenden, wandte Zimmerman ein, dass die Taliban wegen ihrer Verbindungen zu al-Qaida in keiner Weise das „kleinere Übel“ seien.

Einigkeit bestand jedoch beim Thema humanitäre Hilfe. Die Versorgung mit Nahrung und lebenswichtigen Gütern sei aktuell katastrophal, so Hassan, dem Land drohe eine akute Hungersnot. Hilfe für Afghanistan sei keine humanitäre Geste oder Großzügigkeit, sondern eine Investition in die Sicherheit: Wer verhindern wolle, dass sich noch mehr verzweifelte, wütende junge Männer extremistischen Gruppen anschließen, müsse jetzt handeln.

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